![]() |
||||||||||||||||||||||||||
|
Auch Ackermann Sanitärkeramik & Armaturen kam an die Reihe, und der Großvater nahm das so gelassen auf wie in der Familie wohl nur noch Till. Während die Großmutter zum ersten Mal in ihrem Leben die Salzkartoffeln versalzte und den Braten anhängen ließ und während Tills Mutter ein weggeworfenes Westleben beklagte, hatte der Großvater zwei Überstunden gemacht. Till, der ihn zum Abendbrot abholen sollte,fand ihn im Kampf mit einer Riesenschlange aus der Rechenmaschine. “Daß das mal kommen mußte, wußten wir ja.” Der Großvater nickte einvernehmlich zum Öl-Marx, den ihm ein in den fünfziger Jahren unsterblicher Maler gefertigt hatte, streng im scheußichen Stil der Fabrikbesitzer-Ahnengalerie. “Aber wir kriegen einfach nicht raus, was seine Genossen besser machen könnten.” “Gerecht wäre sowieso nur”, sagte Till, “wenn du hier Direktor wirst. Vielleicht...” “Das ist ja das Perfideste!” Adolf Ackermann schob den Direktor-Ledersessel direkt unter seine Bildersammlung. “Haben seine Genossen mir ja angeboten: Direktor für Absatz, Technischer oder Forschungsdirektor, Oberdirektor sogar.” Er stieg auf das abgewetzte Sitzpolster und rückte und zerrte am Marx-Bild. “Mein kapitalistisches Nichtstun wollen die auf vier Leute verteilen, und vielleicht ist das ja sozialisitisch. Ökonomie ist es jedenfalls nicht.” Till trat näher, um zu helfen, aber der Großvater brummte bereits zufrieden. “Die Familie nämlich, die werden sie mir schon rüberbringen. Aber ihn, den hätten sie womöglich hängen lassen.” Alles, was der Großvater außer Karl Marx aus der Firma mitnahm, paßte in seine Vorkriegs-Aktentasche. “Du, vielleicht hätte ich meinen Proletariern den Streik doch nicht ausreden sollen”, überlegte Adolf Ackermann, als sie an den Hallen vorbeigingen. “Das wäre doch ein wirklich historisches Ereignis, ein Streik bis zur Reprivatisierung: wir wollen unseren Ausbeuter wiederhaben!” Till knurrte unparteiisch und schloß das Türchen zwischen Firmenhof und Villengarten auf. “Den Marx kriegen sie jedenfalls erst, wenn ihre vier Direktoren viermal soviele Klos in den Westen exportieren”, verfügte der Großvater. “Also, das mußt du deinen Enkeln einschärfen, Kompagnon!” Till warf den Schlüssel über den Zaun, und der Schlüssel klirrte gegen die Ausschußbecken, die damals noch vom mittehohen Gras verdeckt wurden. Unter dem Ölbild seines Klassikers las und notierte Adolf Ackermann noch sieben Jahre lang für ein Buch, daß er Vorschlag für eine funktionierende sozialistische Ökonomik nennen wollte, Von einem Kapitalisten. Daß ihm der Verlag zu den unverlangt eingesandten Eröffnungskapiteln schrieb, sie basierten auf schon längst zurückgewiesenen linksradikalen Angriffen auf den realen Sozialismus, schmeichelte Adolf Ackermann nicht weniger als ein zustimmender Brief von Robert Havemann. Obwohl die Barrikaden um das Haus des anderen Dissidenten das Bündnis der beiden alten Männer verhinderten, half diese Pointe Till bei den Frauen. “Die Commune ist die einzige Art, echten Sozialismus zu machen”, verhörte ihn das große dünne Mädchen, nach dem Till immatrikuliert worden war und mit dem er zum Internat Straßenbahn fuhr. “Stimmt’s?” “Insofern”, wußte Till Bescheid, “daß sie nur die Unternehmer enteignet haben, die nicht mitmachen wollten. Der Gedanke, alles untenehmerische Geschick in den Dienst des Sozialsimus zu nehmen, findet sich so exemplarisch nur noch einmal in Lenins Neuer Ökonomischen Politik.” “Genau”, jubelte das Mädchen und rückte an seiner Brille. “Wir brauchen eine sowjetische Sowjetunion!” Die Stimme des Mädchens überschlug sich, und ein Rucken der Bahn stieß das Mädchen gegen Till. “Und du, bist du in der Partei?” “Nein”, sagte Till. “Keine Angst!” “Ich schon”, rief das Mädchen. “Gerade deshalb, und deshalb solltest du auch schleunigst eintreten.” “Dann wären schon zwei Marxisten drin, nicht”, sagte Till. Er bekam mit, daß er das Mädchen ein bißchen beleidigte, aber gleich nach dem Aussteigen griff er nach einem Henkel der Riesentasche. Dafür nannte ihm das Mädchen den Namen, Ulrike, und Till hielt den Henkel während der ganzen Gebirgstour über das Baufeld. Nur ungern ließ er vor der Tür des Vierfrauen-Zimmers in der fünften Etage los. Er war nicht auf den ersten Blick und nicht nach diesem ersten Gespräch in Ulrike verliebt, aber sie gefiel ihm, wie ihm auch der Niagara-Fall gefallen hätte: so etwas Lautes hatte es in der Kleistadt seiner Kindheit nicht gegeben. Mit den drei Jungen auf seinem Zimmer kam Till weniger gut ins Gespräch, und eigentlich wartete er nur darauf, daß sie ihre Schränke eingeräumt hatten und zu ihrem ersten Mensa-Bier aufbrachen. Hatte er das Zimmer sturmfrei, wollte er bei Ulrike klopfen und nach dem Allereinfachsten fragen, nach Tee, Weißbrot und Marmelade. Till überlegte noch, ob er zuvor duschen sollte oder ob das zu aufdringlich sein wäre, als es bei ihm klopfte. “Ja, verdammt”, rief Till ärgerlich. Ulrike steckte den Kopf durch den Türspalt und fragte nach Marmelade, Weißbrot und Tee, und obwohl sie rote Ohren hatte, tropfte von ihren schwarzen Locken Wasser auf das Che-Guevara-T-Shirt.
|
|