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Der Mittagshitze, während der Afrika fast ausnahmslos schlief, waren seit Menschengedenken die Stunden der Kinder gefolgt. Die Kleinsten lärmten in den schattigen Gassen zwischen den Hütten, die Größeren lernten bei den Alten die nötigen Arbeiten und Lieder, und die Erwachsenen opferten sich dem Leoparden und der Panthermuschel. Seit die Zivilisation das Dorf erreicht hatte, war jedoch Unruhe in den natürlichen Tagesablauf gekommen. Um die Männer, die das Fort der Christen bauen mußten, ernähren zu können, mußte Häuptling Sihetekela die Frauen auf die Felder schicken, sobald es der Stand der Sonne erlaubte. Ein Teil der Frauen war ohnehin in jeder Woche vier Tage unterwegs, um die Lebensmittel zur Baustelle zu bringen, und die Jagdzüge der Männer wurden lackgewichen waren, oder es lag am zunehmenden Ungeschick der hungrigen Jäger, die ihre Sinne, Muskeln und Geschänger und ertragsärmer. Das mochte daran liegen, daß die Tiere vor den weittragenden Gewehren der drei Portugiesen zurümeidigkeit nur noch selten bei ihren Frauen üben konnten. Die Alten beklagten diesen Verfall der Sitten und Bräuche und brüllten ihre Schülerinnen und Schüler an, die Eltern brüllten untereinander und mit ihren Söhnen und Töchtern, und wie die Kinder schlich auch der große Häuptling Sihetekela eingeschüchtert und mit schlechtem Gewissen durch das Dorf. “Nicht Mücken gegen Elefanten, sondern gemeine Blutegel sind sie”, brabbelte Häuptling Sihetekela wie ein zu oft am Kopf getroffener Krieger, “flußpferdgroße Blutegel an unseren menschlichen Körpern!” Häuptling Sihetekela kontrollierte nicht mehr wirklich, ob alle Frauen zur Arbeit gegangen waren. Er schlug die Fellvorhänge ja zurück oder sah durch die Ritzen der Flechtwände, um ein Paar zu entdecken, daß sich seinem tödlich vernünftigen Befehl verweigert und eine eigene Vernunft gefunden hatte. Dem Mann oder, wenn sie es nur wollte, sogar der Frau hätte Häuptling Sihetekela fast auf der Stelle, eine Sekunde nach seiner Sekunde des Glücks die verfluchte Häuptlingswürde angetragen. “Flußpferdgroße Blutegel, und ihre Bisse sind giftig, ihre Mägen bodenlos!” Nicht einmal als er am Haus der drei Witwen vorbeikam, konnte Häuptling Sihetekela herzlich lachen. Die drei Witwen beschimpften die verbliebenen drei Christen als zahnlose Löwen, schmalschulterige Ochsen und verbrauchte Greise, aber hätte Häuptling Sihetekela nicht auch sie in die Felder geschickt, hätte er dieselben Worte von den eigenen Frauen zu hören bekommen. Als Greis an Leib und Seele schlich der Häuptling in seine Hütte, sah traurig auf den Leoparden-Thron seiner Ahnen und ließ sich auf die Felle der Bettstatt fallen. “Wie Würmer haben sie mich ausgehöhlt”, klagte Häuptling Sihetekela in einem seiner berühmten Gleichnisse. “Noch stehe ich vor meinem Volk wie der segensreiche Affenbrotbaum vor dem Gebüsch, aber ich bin hohl. Noch beten sie mich an wie einen tatsächlichen Ernährer und eine tatsächliche Zuflucht, aber ein Kind könnte mich fällen. Die stolze Rede des erstbesten Mädchens würde genügen, und ich wollte, meine jüngste Tochter begänne sie sofort!” Häuptling Sihetekela zog das Giraffenfell über der Brust zusammen und schmiegte die Wange an den Schild aus Flußpferd-Leder, der zu der Rüstung seines Vaters gehört hatte und ihm nur noch Kopfkissen war. “Vater! Großer Häuptling”, weckte ihn wenig später der fünfte Sohn seiner dritten Frau, der vielleicht auch der dritte Sohn der fünften Frau war. Auch das Sehen, Zählen und Erinnern fiel Häuptling Sihetekela bereits schwer. “Ein Tier greift das Dorf an! Ein Tier mit tausend Köpfen und zweitausend Beinen, ein weißes stinkendes Vieh!” Der Junge ahmte das Ungeheuer nach, indem er stampfend lief und hörbar Luft holte. “Links, zwo, drei vier”, kleffte er dazu, den Kopf starr nach vorn gerichtet, “links, zwo drei, vier!” “Raubtierköpfe”, fragte Häuptling Sihetekela und fuhr noch im Aufstehen mit dem Arm in die Halteschlaufe des Schildes. “Spitznasig wie Europerköpfe sind alle”, meldete der Junge und lief neben dem Häuptling durch das Dorf. “Aber sie sind noch bleicher als die Christen und haben die Haare alter Männer.” “Ruft die Männer zusammen”, brüllte Häuptling Sihetekela durch das Dorf. “Gebt gleichzeitigen Elefanten- und Löwen-Alarm!” Mit zwei Speeren in der Kampfhand rannte er in der Richtung der Felder. Das Untier war ihm bereits ein Gesandter der Götter. Gleich ob es kam, um ihn zu vernichten oder von ihm erschlagen zu werden: es würde Sihetekela wieder zu einem Großen Häuptling machen. Als Schutzgeist oder als Befehlshaber würde er seinem Volk im Heiligen Krieg vorangehen können, und je mehr er aus der Puste kam, umso sicherer wurde Häuptling Sihetekela der Deutung dieser Erscheinung. Ein dummes und zu lautes Vieh, dachte er, während er panthergleich die Bewässerungsgräben übersprang und das Vieh hinter dem nächsten Hügel lärmen hörte. Seine Schritte wurden vorsichtiger, und auf dem Kamm des Hügels warf er sich in den Schatten eines Baumes und wartete ab. “Links, zwo, drei, vier”, bellte das Tier, immer näher, und plötzlich sang es mit menschlicher Stimme. “Rache, Rache, Rache!” Häuptling Sihetekela kannte diese Stimme. “Dem Häuptling Kaiser Wilhelm haben wir’s geschworen”, sang der Häuptling der benachbarten Cuanhama-Stämme, Häuptling Mandume. “Auf, auf zum Kampf! Zum Kampf sind wir geboren!” Er tanzte vor dem Ungeheuer her, in der blutverkrusteten Uniform des christlichen Häuptlings, und mit ausgestrecktem Arm schwenkte er den lockigen Skalp Häuptling Leutnant Durâos. “Da steht ein Mann, ein Mann, so fest wie ein Affenbrotbaum! Er hat gewiß schon manchen Monsun erlebt...” “Das Tier”, warnte Häuptling Sihetekela. “Gleich wird es dich verschlingen!” “Welches Tier”, fragte Häuptling Mandume. Er sah sich ängstlich um, schien aber keine Gefahr zu bemerken. Dann kniff er die Augen zu Spalten und entdeckte seinen Jugendfreund und alten Rivalen. “Mein Bruder!” Mit zwei weiten Sprüngen war er bei Häuptling Sihetekela und steckte ihm die fremden Haare entgegen. “Sieh mal, Bruder, was ich hier habe!” “Och, davon habe ich drei”, sagte Häuptling Sihetekela, “und an meinen sind sogar noch die Männer dran.” Häuptling Sihetekela starrte zum Kamm, wo die ersten fünf Köpfe des Ungeheuers auftauchten. Sie waren tat- sächlich mausnasig und hell wie schlecht gebackene Fladen, nur waren ihre Haare aus der Nähe besehen nicht grau, sondern gelb. Aus der Nähe besehen gehörte zu jedem Kopf auch ein ganzer Krieger, und ungeheuerlich war nur, daß diese Krieger in gleichbleibenden Abständen liefen und immer zugleich die Füße auf den Boden stampften. “Wer sind die, Bruder”, fragte Häuptling Sihetekela. “Das sind die unbesiegbaren Krieger unseres Häuptlings Kaiser Wilhelm”, verkündete Häuptling Mandume und schwenkte wieder die Haare, die ihm gar nicht gehörten. “Und sie gehen nur den Kriegern Mandumes voraus, die den Cuamato zeigen werden, wie man die Haare der Christen abbekommt.” Mit der freien Hand zeigte er auf einen Reiter, der am Heerwurm entlang galoppierte. “Mein Bruder Häuptling Hauptmann!” Häuptling Sihetekela winkte seinen zur Jagd heranstürmenden Männern, Abstand zu halten. “Wir wissen auch ohne die Cuanhama, wie man Schweinen die Haut und die Borsten nimmt. Aber vielleicht sagt mir Mandume, warum wir das tun sollten? Daß drei junge Witwen nicht verdorren müssen, ist doch der einzige Nutzen, den wir von den Christen haben.” “Aber das ist ein alter Brauch der Wilden in Amerika”, sagte Häuptling Mandume stolz. “Und meine deutschen Freunde erwarten das eben auch von uns. Ja, und in seiner linken Hand wird der Löwe des Westens und König aller Cuanhama-Könige Mandume Steppenbrand schon heute abend die fettigen Haare seines Bruders Sihetekela tragen! Weil nämlich zwischen den deutschen Freunden und den verfluchten Portugiesen Krieg ist...” Häuptling Sihetekela kratzte sich die Locken und schielte nach der weißen Armee, die inzwischen stillstand und vor der das Pferd Häuptling Hauptmanns tänzelte. Und was geht dieser Krieg Mandume und mich an”, fragte Häuptling Sihetekela. “Und seit wann bist du denn wichtiger als die anderen Cuanhama-Häuptlinge?” “Also du”, begann Häuptling Mandume forsch, kratzte sich aber schon vor dem dritten Wort ebenfalls die Locken. “Du bist, soweit ich meine deutschen Freunde verstanden habe, ein verfluchter Portugiese, während ich ein unbesiegbarer Deutscher bin!” “Na, dann zeige mir ein Haar, eine Stelle oder ein Teil, an dem wir uns unterscheiden!” Häuptling Sihetekela straffte den Rücken, drehte den pechschwarzen Oberkörper und hob sogar den Schurz aus Löwenfell. “Das mußt du doch sehen, daß wir beide entweder verfluchte Portugiesen oder deutsche Freunde sein müssen! Und außerdem läufst du in der zweiten Haut des Christen-Häuptlings herum, nicht?” “Tja, würdest du denn mit uns gegen die verfluchten Portugiesen kämpfen wollen”, fragte Häuptling Mandume nach reichlicher Überlegung. “Für solche Fälle habe ich fünf von meinen Schwestern mit, und wir könnten noch heute Abend eure Befreiung eure Befreiung, deine Hochzeit und unser Bündnis feiern. Was soll ich Häuptling Hauptmann also vom Elefanten des Ostens und König aller Cuamato-Könige, von Sihetekela Blitz aus dem Busch übersetzen?” “Rache”, schrie Häuptling Sihetekela seinen Männern zu. “Wir werden mit Häuptling Kaiser Wilhelm gegen das verfluchte Fort ziehen, und wir werden uns an allen verfluchten Christen rächen!” “Rache”, jubelten alle Männer und Jünglinge des Dorfes, und von diesem Augenblick an war Häuptling Sihetekela der vielleicht treueste Sohn Kaiser Wilhelms.
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