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Neue Wolken waren aufgezogen, um zu platzen und Regenvorhänge durch Neles Küche zu ziehen. Der alte Mann unter dem Tisch schwieg, nuckelte an der Wodka-Flasche, und so oft es die dichten Wasserfälle erlaubten, schielte er zu Lamme und Nele. “Es ist die Sintflut”, seufzte er, “aber daß ich in Gesellschaft so junger Leute sterben werde, tröstet mich ein wenig... Würdet ihr mir noch einen Gefallen tun? Und euch...” Er nahm einen kräftigen Schluck und reichte die Flasche Lamme zurück, damit sie zur richtigen Zeit bei den richtigen Leuten war. “...und euch ein letztes Mal lieben”, schrie der Alte gegen die Naturkatastrophe an, die er verschuldet haben wollte. “Jetzt, hier, vor meinen Augen?” “Ja, was denn”, zischte Lamme. “Ist jetzt auch Wahnsinn ansteckend?” Nele hatte die klatschnasse Decke abgestreift und ließ bereitwillig, so“Bei mir zickst du, aber für so einen Tattergreis willst du es als Gratis-Vorstellung...?” “Aber das ist Gott”, zischte Nele zurück. An Lammes Hosenknopf brach sie sich zwei Fingernägel an, und sie zerrte fast verzweifelt am Reißverschluß, der bei soviel Feuchtigkeit klemmte. “Das ist Gott, verstehst du nicht? Und er wird sterben!” “Von mir aus!” Lamme gab ihr mit seinen großen, aber weichen Händen zwei Ohrfeigen, um sie zur Besinnung zu bringen. “Ich hätte mich an seiner Stelle schon längst aufgehngt! Das Große Karthago, der gekreuzigte Spartakus-Aufstand... Tschingis Chan, die Völkerschlacht bei Leipzig und das Denkmal dafür! Auschwitz, Hiroshima, Stalin, Kampuchea... Aber ich war, gottverdammich, nie an seiner Stelle! Und jetzt, wo der Versager krepiert, will ich es erst recht nicht sein!” Immer, wenn Nele ihm die bloßen Brüste zeigte und ihm an den Anzug ging, klatschte Lamme ihr den nassen Frottee wieder auf die Haut. In diesem außergewöhnlichen Kampf erhitzten sie sich so, daß sie den alten Mann im schmuddeligen Nachthemd und den Weltuntergang schließlich ganz vergaßen. Plötzlich war es wieder 60 Watt hell und Lord Baskerville sprang auf, um Thyl zu begrüßen. Thyls Bartstoppeln waren naß, an der Nase und am Kinn hingen ihm Tropfen, und während er mit der linken Hand noch die feuchte Unterhose auszog, warf er mit der rechten Hand sein schweres Hemd nach den Köpfen von Nele und Lamme. “Daß ihr bei der Sintflut spazieren wart, ist idiotisch genug”, sagte er, “aber daß ihr euch nun mit ‘ner feuchten Decke wärmen wollt, ist idiotischer als die Premiere eben.” Obwohl Nele sehr eindeutig ausgepellt war, drückte Thyl ihr einen dicken Kuß auf die breite Nase, und von Lamme wollte er nicht einen Duell-Termin, sondern nur die Schnapsflasche. “Und? Worauf wartet ihr noch? Unter allen Märtyrern aller Kirchen ist kein einziger Grippe-Toter!” Da Nele an ihm vorbei auf die altbekannten, nur etwas kräftigeren Wasserflecken über dem Herd starrte, mußte Thyl auch noch selbst Hand anlegen, um den Bademantelgurt aufzuknoten und sie vor seinem besten Freund völlig zu entblößen. Lamme blieb völlig uninteressiert, ganz und gar auf seinen linken Hauspantoffel unter dem Küchentisch fixiert. “Ist dir nicht jemand begegnet”, ächzte er schließlich, mühsam Jackett und Hemd ausziehend. “Ein älterer Herrzum Bleistift?” “Politbüro-Alter”, fragte Thyl, “aber unrasiert? Faltig? Und krumm?” Lamme und Nele nickten und hielten den Atem an. “Nee, ist mir nicht begegnet! Und ist das vielleicht ein Wetter, bei dem man einen Rentner vor die Tür jagen möchte?”
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