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Atahuallpa ließ sich die Nachrichten aus Cuzco zum Vergnügen aufsagen: der Inka verbot den Sonnenjungfrauen, seine für den Tag gefertigte Kleidung bei Sonnenuntergang zu verbrennen. Der Inka nannte den höchsten Priester des Sonnenkultes ein auf den Kopf gefallenes Lama, enthob ihn des Amtes und setzte dafür einen seiner Wissenschaftler ein. Der Inka genoß es geradezu, wenn ihn der Hof und der Pöbel beim Spitznamen nannte, Huascar, nach der goldenen Kette, die der Vater aus Anlaß seiner Geburt hatte fertigen lassen: siebenhundert Fuß lang. Der Inka ließ alte Bergwerke öffnen und das blaue Erz fördern, das zu hartes Metall ergab und als Schmuck zu wenig glänzte. Atahuallpa ließ sich diese Nachrichten aufsagen, erzählte sie wie der letzte Meldeläufer weiter und schüttete sich vor Lachen aus, so oft sie wiederholt wurden. Der General seines Vaters, nun Atahuallpas General, General Quizquiz kochte bei solchen Gelegenheiten vor Wut, aber es wäre eine ganz und gar hauptstädtische Sitte gewesen, hätte er seinen Inka vor dessen Halbbrüdern und Lehnsleuten zurecht gewiesen. Er trippelte hinter dem Jüngling her, fett, kurzatmig und von den endlosen Feldzügen durch die nordwestlichen Sümpfe rheumakrumm. “Einziger Inka”, schnaufte General Quizquiz mit letzter Kraft, als der Herrscher Anstalten machte, in den Innersten Teil des Palastes zu verschwinden. Dorthin durften ihn nur Narren, Sklaven und Weiber begleiten. “Wenn der Einzige Inka den Huascar den Inka nennt, bringt mich das jedes Mal um!” Atahuallpa blieb stehen und lachte. “Dafür bist du aber noch sehr lebendig, Dicker! Laß mich ihn den Inka nennen, und laß ihn weiter den Huascar spielen, nur das kann ihn stürzen. Vielleicht. Nach altem Brauch und mit Zustimmung aller Alten ist er auf den Thron unserer alten Hauptstadt gestiegen, der erstgeborene Sohn meines Vaters, richtig? Und hocken nicht inzwischen alle Alten und alle Lobredner des Alten hier in Quito?” “Richtig, klar...” “Sonnenklar”, witzelte Atahuallpa. “Es ist doch sonnenklar, daß ein Sohn unserer Sonne sonnenklar sieht und spricht. Und offen gesagt sehe und fühle ich mich auch wie in einem Altersheim gefangen, bei soviel Beschwörung der guten Sitten und solchem Zulauf.” Atahuallpa löste das Band, das den Vorhang zwischen ihm und seinem General, zwischen ihm und dem Halbreich raffte, eigenhändig. “Sieh zu, alter Mann, daß nicht auch meine Armee eines Tages aus lauter Greisen besteht!” Die Laune des Chicha-Umtrunks war Atahuallpa gründlich vergangen, und das war erst ganz zuletzt die Schuld des wirklichen Einzigen Inkas Inti Cusi Huallpa. Fröhlich Singende Sonne, das bedeutete der Fürstenname Huascars, gab seinem jüngern Halbbruder eigentlich keinen Grund ihn zu hassen. Huacsar hatte das Reich, das unter ihrem Vater zu groß geworden war, aufgeteilt, und Atahuallpa herrschte in der nördlichen Hälfte mit allen Rechten des Einzigen Inka. Als Sohn einer gefangenen Häuptlingstochter hätte Atahuallpa diese Entscheidung nicht einmal träumen dürfen, und alle Priester und alten Männer des Reiches wären gegen ihn Sturm gelaufen, hätte Huascar sie nicht seit dem Tag seiner Thronbesteigung immer wieder geduckt, gedemütigt und dem Spott des Pöbels ausgeliefert. Nur weil seine Macht so ganz und doppelt von Inti Cusi Huallpa abhing, haßte Atahuallpa den Halbbruder, und sein schönerer Teil des Reiches wurde ihm durch den Zulauf der widerlichsten Verwandten, Generale und Beamten entstellt. Atahuallpa mußte sie auf- und für sich einnehmen, aber er mußte sie auch von einem Krieg gegen Cuzco abhalten. Der politische Müll des Reiches gab Atahuallpa nur Macht, weil er von der Macht Huascars ausgekehrt worden war, und diese Tatsache und dieser Gedanke machten Atahuallpa den Einzigen Inka dreifach verhaßt. “Ich komme, Sohn der Sonne, unseres Herrn und meines Verlobten, dir die Bürde deines großen Amtes von den Schultern zu nehmen.” Die Intip Chinan, die das Kloster nach Atahuallpas Kleidung geschickt hatte, war jung, noch sehr jung. Sie war die erste junge Sonnenjungfrau, die die Oberin der Sonnenjungfrauen zu ihm schickte. Sie wurde unruhig, als Atahuallpa die Sandalen aufband. Als er ihr seine Schulterdecke über den Arm hing, war sie bereits puterrot, und sie zitterte und verströmte sich in fast bäuerlichem Schweiß, als der Herrscher auch noch das Hemd auszog. Wohl nur keusche Furcht konnte dieses zierliche Lama-Lämmchen zum Mut anstacheln, dem Einzigen Inka im Norden das letzte Stoffstück abzureißen. “Die Sonne, unser Herr und mein Verlobter, steht tief und erwartet den Rauch dieses Opfers!” “Dann wird die Sonne weiter warten müssen!” Der Einzige Inka hatte als einziger Mann das Recht, unter den Sonnenjungfrauen zu wählen, aber bisher hatte die Oberin Atahuallpa den Zutritt in den Himmlischen Harem verwehrt und ihm nur Exemplare geschickt, derer sich auch die leibhaftige Sonne enthalten hätte. Atahuallpa war eben nur im Norden der Einzige Inka. Setzten sich die Ultra-Konservativen durch oder brauchte Huascar einen Vorwand, Atahuallpa zu vernichten, würden sie Atahuallpa für diese eine Stunde mit der Intip Chinan vierteilen. Schwitzend verurteilte Atahuallpa seine vielfach verzweigte Familie zum Begräbnis bei lebendigem Leibe, und daß er das Mädchen aufriß und auf die blutende Wunde küßte, bedeutete die Zerstörung Quitos und die Versklavung aller Einwohner. Natürlich wartete die Sonne seinen schwächenden Triumph nicht ab, und durch das Dachfenster schien der Vollmond auf den unbeholfensten Liebhaber des Reiches, der je eine glückliche Geliebte über das Unglück der Hochzeitsnacht getröstet hatte. “Coyllur, Sternchen”, flüsterte Atahuallpa ins Ohr der Sonnenfrau, “dem Inka kamst du zur rechten Zeit. Wer könnte dich da anklagen?” “Sinchi, Titu, Capac, Atahuallpa Yupanqui”, flüsterte die Sonnenfrau und küßte heulend sein Gesicht. “Mein Starker, Mein Großzügiger, mein Reicher und Berühmter Atahuallpa: du bist eben nicht der Wirkliche Einzige Inka...” Sie raffte ihr Kleid und die Kleidung, deretwegen sie gekommen war, und floh durch den Geheimgang zum Kloster der Sonnenjungfrauen. Atahuallpa beriet den Fall am Morgen mit General Quizquiz, und der treueste General seines Vaters schlug ein vorbeugendes Attentat vor. Fand man Gift in den Speisen des Inka, und er konnte ja vor dem Essen einen seiner Papageien gefüttert haben, hatte man einen unanfechtbaren Grund, alle Sklaven seines Leibes und die Oberin der Sonnenjungfrauen zu verhören und nach den Geständnissen hinzurichten. Gab es unter ihnen Zeugen der Liebesnacht und Zuträger Huascars, war man sie mit einem Schlag los, den das Volk von Quito billigen und den General Challcuchima gern und mit Sorgfalt führen würde. General Challcuchima war unter Atahuallpas Vater für Strafexpeditionen gegen aufständische Stämme zuständig gewesen, und schon am Abend hatten ihm fünfzig der sechzig Sklaven des Leibes gestanden, Spione Huascars zu sein. Atahuallpa stand auf der Galerie der Folterkammer und starrte in einen Abgrund der Niedertracht. Einem oder einer Unschuldigen hätte die Barmherzige Sonne ohne Zweifel die wunderbare Kraft verliehen, auch dann noch die Unschuld zu beteuern, wenn alle Haut vom Rücken gepeitscht war, der Felsbrocken den zweiten Arm und das zweite Bein brach und der dressierte Falke nach den Augen hackte. Fünfzig von sechzig Sklaven aber hatten bereits gestanden, und die letzten zehn Frauen wurden eben erst auf die steinernen Folterblöcke gebunden. Als die Soldaten begannen, die Verdächtigen zunächst mit dem natürlichsten Werkzeug des Mannes zu bearbeiten, wandte sich Atahuallpa ab. Er war traurig, angeekelt und voller Gier nach der gewesenen Intip Chinan Coyllur, und er hoffte, daß sie wieder zu ihm geschickt werden würde. Statt ihrer aber erschien die allerälteste Sonnenjungfer. Coyllurs Namen nannte General Challcuchima am folgenden Morgen, nach der Zahl der verurteilten Sklaven und dem Namen der Oberin. “Unmöglich”, schrie Atahuallpa. Er zog den Streitkolben aus dem Gürtel und warf ihn nach seinem Obersten Henker. “Das ist ja schon wieder eine Verschwörung! Da behauptet ihr, mein Leben retten zu wollen, und nehmt mir die Liebe!” “Einziger Inka, geruhe, in Ruhe nachzudenken!” Der General brachte Atahuallpa die Waffe eigenhänndig zurück, kniete vor dem Herrscher und reckte den Hals wie ein Opfertier. “Nur im Kloster konnte das Gift ins Essen gelangt sein, erstens. Was hätte dir der hinterlistige Huascar vorwerfen können, zweitens, solange seine Spionin dich nicht verführt hatte? Und drittens hat sie ja selbst alles gestanden und uns weitere hundertundzwölf Verschwörer genannt.” Atahuallpa winkte General Challcuhchima, auch er war fett und alt genug zum Sterben, daß er sich ein Stück entfernen sollte. “Das Gift, du Schlächter hat es nie gegeben! Das war eine Idee von Quizquiz, ein Vorwand... Aber wie auch immer! Ich begnadige sie: Coyllur!” “Tue das nicht”, flüsterte General Challcuchima. “Daß ihr Schoß je jungfräulich war, wirst du nicht mehr glauben, und ihre Augen hat der Falke nicht besonders geschont. Und ob das alles eine Idee von Quizquiz war, werde ich selbstverständlich untersuchen!” Huascar schickte nicht nur keine Armee, um seine gemordeten Spione zu rächen, sondern schickte Atahuallpa Boten mit Geschenken und einer formvollendeten Rede. “Meinem Bruder Atahuallpa, Inka in Quito und allen nördlichen Provinzen! Wisse, daß mir deine Rettung ein neues Leben schenkte, und wisse entgegen allen Gerüchten, daß mein Anhänger oder Gehilfe nicht länger ist, wer nach deinem Leben trachtet! Ich wünsche dir Gesundheit, Kraft und Schläue in unserem Kampf, in dem nicht mehr die alten, dicken und hirntrockenen Generale und Beamten unsere Gegner sein werden...” Inti Cusi Huallpa träumte seit Wochen in jeder Nacht von baumlangen, blaßgesichtigen Männern, die von Norden her in das Reich einfielen. An ihren blauglänzenden Leibern prallten die mit Steinsplittern besetzten Pfeile und Speere wirkungslos ab. Über große Entfernungen hinweg schleuderten die Eindringlinge Feuer gegen die Krieger des Inka, und vor und hinter den Eindringlingen zogen die vom letzten Inka Huayna Cápac unterworfenen Stämme Chimu, Zana, Collque, Cintu, Tucmi, Sayanea, Mutupi, Puchiu, Sullona, Túmpiz, Huancauillca, Chachapuya, Apichiqui, Pichunsi, Saua, Pecllansimiqui, Pamapahuaci und Manta. Das feindliche Heer marschierte über die Straßen und Brücken des Inka, lebte aus seinen Vorratshäusern, und die Handwerker Cuzcos öffneten dem feindlichen Heer die Tore der unbezwinglichen Festung Sacsahuaman und trugen ihm den Einzigen Inka Inti Cusi Huallpa entgegen: als eine grasgefüllte Menschentrommel. General Quizquiz hielt den Traum für das sichere Zeichen, daß Huascars Wahnsinn zunahm, und Huascars Einladung zum Kriesrat in Cuzco hielt General Challcuchima für eine plump gestellte Falle. Beide rieten ihrem Einzigen Inka Atahuallpa jedoch dasselbe: er solle die größte Armee aufstellen, über die je ein Inka geboten habe, denn so könne er den Traum Huascars ernst nehmen, ohne sich in Gefahr begeben zu müssen. Auch sei Atahuallpa so auf den Tag vorbereitet, an dem Huascar ganz seiner Krankheit erläge. Atahuallpa erließ alle dafür nötigen Befehle, doch noch immer schreckte er vor einer förmlichen Kriegserklärung zurück. Er verzieh dem Bruder Coyllurs Verrat und Tod nicht und hatte ihm still gleiche und schlimmere Trauer und Vezweifelung geschworen, aber die alten Männer und Lobredner alles Alten frohlockten für Atahuallpas Empfinden einfach zu laut. Mit dem Kästchen, das Huascar ein halbes Jahr später schickte, wußten weder Atahuallpa noch seine Generale etwas anzufangen. Es war schmucklos und wertlos und enthielt nichts als einige unschöne Dreiecke aus blauem Metall und zwei übelriechende unbekannte Würmer. Schließlich ließ Atahuallpa den Schlußläufer der Poststaffette noch einmal rufen. “Eine weitere Botschaft, Inka in Quito, wird dieser so rasch nicht folgen”, sagte der Läufer demütig. “Auch bedürfen die Worte des Inka in Cuzco nicht länger der Geheimschrift und geheimen Zeichen der Sonnensöhne, sondern aller Ohren und Münder.” Der Rücken des Läufers straffte sich, und er begann stolz und laut wie ein Priester zu rezitieren. “Der Inka Huascar an jeden Mann und an jede Frau in seinem Reich! Baumlange und blaßgesichtige Männer auf großen vierfüßigen Ungeheuern nähern sich schon den Grenzen unseres Landes, Euerm Herrscher die Zeichen der Macht, die Konkubinen und Sonnenjungfrauen, die goldenen Geräte und die Schlüssel der Vorratskammern zu nehmen und Euch einen neuen Gott zu geben. Ohne Zweifel denkt ihr nun, daß Ihr dabei doch nichts verliert. Ich, Huascar, muß Euch aber sagen, daß Ihr auch den geringsten Trost des Sonnengottes, die schmalen Zuteilungen aus den Vorratshäusern und Eure verbliebenen Schwestern und Töchter verlieren würdet. Ihr verliert Euren Einzigen Inka nur, um unter viele und schlechtere Herrscher zu fallen, und schon ich, Huascar, war ein schlechterer Herrscher, als ihr einen verdientet. Nicht, daß Ihr mich, Huascar, meine Brüder, Ahnen und Ratgeber verteidigt, erbitte ich also von Euch. Hoffen darf ich vielleicht, daß Ihr meine neuen Gesetze verteidigt, mit denen ich Euch um Vergebung für mich, meine Brüder, Ahnen und Ratgeber bitte. Erstens soll jedem selbst gehören, was er auf seinen zugeteilten Äckern erntet, abzüglich ein Drittel, mit dem die Armee und der Staat künftig auskommen müssen. Zweitens soll der erfolgreichste Bauer oder Minenarbeiter künftig selbst das Amt des Kontrolleurs und Direktors ausüben, doch gelte nur der als erfolgreich, der alle Mitbauern und Mitarbeiter erfolgreich sehen will. Drittens werden alle aus allen Dörfern als Sonnenjungfrauen oder Konkubinen entführten Mädchen aus dem Staatsschatz entschädigt; sie dürfen verbleiben oder hingehen, wo sie wollen, und sie dürfen natürlich heiraten. Viertens darf jeder Stamm seine alten Götter verehren und seine Häuptlinge nach eigenem Brauch und Gutdünken wählen, doch soll er statt Gold das blaue Erz fördern, schmelzen und zu Pfeilspitzen machen, doch soll er auf meinen Ruf alle irgendwie abkömmlichen Männer unter eigenen Offizieren zu meinem Heer senden. Fünftens schwöre ich, Huascar, bei der Sonne und bei allen Euren Göttern, daß ich dieses Heer nur gegen unsere baumlangen, blaßgesichtigen Feinde führen werde. Ich, Huascar, schwöre außerdem wie meine Schwester, Frau und Ratgeberin Chuquy Huypa: nichts soll uns und keinen Inka länger vor jedem Bauern jedes Stammes auszeichnen! Nichts als besondere Eignung für eine Arbeit soll künftig über die Besetzung des höchsten wie des geringsten Amtes entscheiden! Als Zeichen unserer Not wie unserer Aufrichtigkeit schicken wir, Inka Inti Cusi Huallpa und Inka Chuquy Huypa, die beständigsten Zeichen unserer hohen Geburt und Erziehung, die gedehnten Ohrläppchen, abgeschnitten durch unser und Euer Land!” “Die langen Ohren”, kreischte General Challcuchima und ließ das Holzkästchen fallen, als glühe es. “Uns allen wollen diese tollen Hunde die Ohren abschneiden!” General Quizquiz bewahrte die Fassung nur einen Moment länger. Er riß den Streitkolben aus dem Gürtel, schlug dem Boten mit dem goldenen Knauf den Schädel ein und wankte wider alle Etikette zu Atahuallpas Thron. Er ließ sich auf den Hocker fallen und klagte. “Nun laufen sie uns alle weg: die Intip Chinan und die Huren, die Sklaven und die Soldaten! Und die, die bei uns bleiben, werden wir von einem Drittel der Einnahmen nie und nimmer satt bekommen! Das, Einziger Inka Atahuallpa, ist das Ende!” “Oh, nein! Das ist der einzige Krieg, den ein halber Inka gegen den Einzigen Inka führen darf, nein, muß”, entgegnete Atahuallpa. “Nein, nein, es ist nicht der Krieg! Es wird mein Heiliger Spaziergang nach Cuzco werden!” Atahuallpa hätte auf das Gold, die Frauen und sogar auf die störend langen Ohrläppchen verzichtet, um nicht den Krieg der alten Männer führen zu müssen, aber Huascar griff in seinem Wahn die höchsten Güter des Reiches an: die Eigentumslosigkeit, den kunstvollen Staat und die unvergleichliche Majestät der Sonne. Und hätten sich die alten Männer kampfentschlossen gezeigt, hätte Atahuallpa sich vielleicht dem Bruder angeschlossen, aber zu verlockend war, als Emporkömmling und illegitimer Herrscher der erste Streiter für die alten Prinzipien zu werden. “Meine Watte-Rüstung! Meine Sänfte”, befahl Atahuallpa unverzüglich. “Alle Abteilungen fertigmachen zum Abmarsch!” In noch keinem Krieg eines Inkas war soviel Bewegung zwischen den feindlichen Lagern gewesen. Liefen Atahuallpa die meisten Soldaten davon, floh aus Huascars Reihen der Großteil der Offiziere. Aus dem halben Reich Atahuallpas zogen die umgesiedelten barbarischen Stämme aus, während das halbe Reich Huascars seine Beamtenschaft einbüßte. “Eine Armee von Strategen gegen einen Rebellenhaufen! Morgen siegen wir, und in drei Tagen sind wir in Cuzco”, hatte General Quizquiz am Vorabend der ersten größeren Schlacht verkündet. Am Abend nach der ersten größeren Schlacht erklärte er Atahuallpa auch den Rückzug seiner halbierten Armee als einen Sieg, da der Verrückte Inka zwei Drittel seiner Krieger verloren habe. Atahullpa sah aber sehr wohl, daß beide Armeen nun gleichgroß waren, und während er seine Reserven erschöpft wußte, strömten Huascar neue Verbündete zu. Die Lösung fiel General Challcuchima ein, und er brachte sie auf die Formel, daß das Reich den Krieg gegen Huascar weniger fürchten sollte als Atahuallpas Frieden. General Challcuchima sammelte die aus der südlichen Reichshälfte geflohenen Knotenmacher und Priester in Spezialeinheiten, die straflos gegen jeden wüten durften, der Verwandte in Huascars Heer hatte. Ihre Bluttaufe erteilten sich die Spezialeinheiten in den Dörfern der Stämme Cañari und Chachapoya, und bald konnte der Verrückte Inka die Krieger beider Stämme nicht länger in seinem Heer halten. Racheschnaubend und zornblind zogen diese Abteilungen zur Verteidigung ihrer Frauen und Kinder ab, und in einem Hinterhalt erschlug General Quizquiz Zehntausende, mehr nach den Regeln der Jagd- als der Kriegskunst. Danach eroberten Atahuallpas Generale ohne größere Mühe Cajamarca, die nördlichste Festung des Verrückten Inka, und erst vierhundert mal tausend große Schritte südlicher, bei der Stadt Jauja, sammelte sich Huascars fliehende Armee neu. Huascar gab ihr einen neuen Befehlshaber, damit sie unter diesem erneut geschlagen wurde, und an die Spitze seiner Letzten Freunde stellte sich Inti Cusi Huallpa persönlich, obwohl nur noch ein Wunder Cuzco retten konnte. Atahuallpa fand, daß etwa sein Lachtod ein solches Wunder gewesen wäre, und tatsächlich starb er ihn fast, als ihm das letzte Aufgebot des Verrückten Inka gemeldet wurde. Im tiefsten Süden, zwischen Copiapó, Tucuman und Juyjuy, hatte die Verrückte Königin Chuquy Huypa nackte und bunt bemalte Wilde um Beistand gebeten. Sie hatte selbst Weiber und Kinder in ihren Haufen aufgenommen und obendrein beschlossen, selbst zu kommandieren. General Quizquiz verweigerte Atahuallpa einen Angriff, der ihm nur einen blamabelen Sieg eintragen konnte, und General Challcuchima war nicht angriffslustiger, ließ aber seine Spezialeinheiten schließlich doch los. Das hohe trockene Gras schien den zu Blutsäufern gewordenen Beamten und Priestern bereits der hartnäckigste Widerstand, und sie drangen so rasch vor, daß keine Umkehr mehr möglich war, als das ganze Tal plötzlich brannte. In nur einer Stunde verbrannte Atahuallpas zahlenmäßige Übermacht und strategische Überlegenheit, und die Panik des Heeres nutzten Huascars Letzte Freunde und Chuquy Huypas nackte Wilde zum Rückzug in die Berge. Nunmehr traute Atahuallpa diesen Verrückten auch zu, daß ihr nächster Schlag nicht seiner Streitmacht, sondern entgegen allen Kriegsregeln ihm und seinen Generalen gelten würde. Zwar lachten ihn die Gnereale Quizquiz und Challcuchima für die sonnenlästerliche Idee aus, doch sie stellten dennoch wie befohlen die Falle. Am nächsten Morgen ließ Atahuallpa seine Sänfte durch eine Schlucht nach Norden zurück tragen, und er hatte der Sänfte täuschend viele Leibwächter beigegeben, alle-samt tote Männer, ahnte Atahuallpa. Als nämlich Huascars und Chuquy Huypas Soldaten, Weiber und Kinder den vermeintlichen Fluchtzug überfielen, ließ Atathuallpa Angreifer wie Verteidiger seiner Sänfte mit Steinen, Pfeilen und Speeren eindecken. Erst als der letzte feindliche und eigene Krieger gefallen war oder sich doch tot stellte, schickte Atahuallpa einen Suchtrupp los. Sein strenger Befehl war, alle nackten Wilden und einfachen Soldaten niederzumachen, die bemalten Häuptlinge und Offiziere zu binden und nach Cuzco zu treiben, Inti Cusi Huallpa und Chuquy Huypa aber mit gebotener Achtung zu behandeln und nach ihrem Palast zu geleiten. Atahuallpa pries sich glücklich, daß das Herrscher-Paar unter den Lebenden gefunden wurde, und daß er sich im Augenblick des Sieges milde gezeigt hatte. So gewann seine Einladung an die Verwandten und beamteten Anhänger Huascars, zu einer Versöhnungsfeier nach Cuzco zu kommen, kaum erwartete Glaubwürdigkeit. Auch, daß Atahuallpa unverzüglich Rache für den Mord an Coyllur nahm, war seiner Popularität zuträglich: wegen stümperhafter Kriegführung ließ er General Quizquiz, wegen Grausamkeit gegen die Zivilbevölkerung ließ er General Challcuchima steinigen. Vor allem aber empfahl Atahuallpas neuer Berater, sein Cousin Cusi Yupanqui, die ketzerischen Gesetze des Verrückten Inka zunächst nicht aufzuheben. Wenn die Bauern sich selbst versorgen durften, mußten die Vorratshäuser nichts für die Versorgung der Kriegsopfer verauslagen, und für einige Zeit würden dem Einzigen Inka ohnehin die Mittel fehlen, alle Sonnenjungfrauen und Konkubinen einzufangen und zu versorgen und die Götter der abgefallenen Stämme zu bekämpfen. Die gefangenen Soldaten und unteren Offiziere Huascars wurden für treue Befehlsausführung mit Land in entlegenen Gebieten entlohnt, und in der solchermaßen befriedeten Stadt Cuzco konnte Atahuallpa ungestört sein großes Gericht vorbereiten. Zuerst ließ Atahuallpa die Obstbäume am Hang des Berges Yahuira leiden. In die Pflanzungen wurde ein Weg geschlagen, und rechts und links des Weges wurden die Bäume in verschiedener Art und Höhe gestutzt: hoch wie kniende und stehende Männer und als übersichtlich gestufte Galgenreihen. Dann führte Atahuallpa seinen Halbbruder an einem Halsstrick, nackt und die Arme hinter dem Rücken gefesselt, zu einem steinernen Schandthron. Höhnisch kündigte er ihm jeden Tag eine neue Audienz an. Am ersten Tag wurden Huascars mittlere und höhere Offiziere im Knien an die Bäume gebunden und mit Halsschnitten getötet. Am zweiten Tag wurden Huascars Dichter und Wissenschaftler im Stehen angebunden und geköpft, und die Köpfe wurden auf die nun überragenden Baumstämme gesteckt. Am dritten Tag mußte Huascar den Ort der Rache und Verwesung über die Leichen seiner erschlagenen Onkel, Brüder und Söhne verlassen, und an den folgenden Tagen wurden an den Galgen die Frauen der Gerichteten aufgezogen, die Schwestern an den Handgelenken, die Frauen an den Fußgelenken und die Töchter an den Haaren. Am letzten Tag versprach Atahuallpa Huascar einen letzten Besuch in seinem Harem, und um den Schandthron knüpften Atahuallpas Leibwächter selbst Huascars lange vergessenen Geliebten und nur einmal gebrauchten Sklavinnen Stricke um die Brüste. Die Frauen wurden in die Bäume gezogen, und Atahuallpa ließ Huascar zusätzlich fesseln und von acht Männern halten, als die schwangere Chuquy Huypa über den Leichenteppich getrieben wurde, nackt und auf allen Vieren. “Einen letzten Befehl gestatte ich dir, Inti Cusi Huallpa, du Fröhlich Singende Sonne”, höhnte Atahuallpa. “Schicke Sie auf Lebzeit in ein Bordell! Dann werden diese Männer ihre erste Kunden statt ihre Henker sein, und du wirst allen außer mir eine große Gnade erwiesen haben!” “Ein Reich wie dieses war gar nicht zu retten”, sagte Huascar und hob den Kopf, um in die Sonne starren zu können. “Einer, der für alle denkt und entscheidet, wird immer der werden, der alle Grausamkeit aufweckt und anleitet.” Huascar betete stumm, daß ihm die Sonne das Augenlicht nähme, doch im Griff eines Halsbrechers mußte er zusehen, wie Atahuallpa Chuquy Huypa das Kind aus dem Bauch schnitt und die Därme ausriß. Huascars Haare wurden weiß, und auch Chuquy Huypa lebte noch, als sie vor Huascar auf den angespitzten Pfahl gesetzt wurde. Sie rutschte nur langsam tiefer, in den Tod und die Erlösung. “Kein Opfer ist zu groß, um das Inkatum zu retten”, erklärte Atahuallpa. “Der Egoismus, die Vielgötterei und die Willkür, die du gegen das Gemeineigentum, den wahren Gott und die Ordnung aufgerufen hattest, waren furchtbare Feinde. So mußte die Strafe noch furchtbarer sein, und groß wie sie wird der Sieg heißen, bis in alle Ewigkeit!” Atahuallpa griff den Halsstrick und führte den vierunddreißigjährigen Bruder als gebrochenen Greis auf Cuzco zu, wo in jener Nacht ein zitternder Meldeläufer eintraf. An der Nordgrenze des Reiches waren baumlange, blaßgesichtige Männer aufgetaucht, und die Stämme Manta, Pampahuaci und Pecllansimiqui wiesen ihnen die kürzesten Wege und trugen ihnen die Lebensmittel nach.
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