![]() |
||||||||||||||||||||||||||
|
Giordano lehnte die Stirn an die feuchte Mauer. Außer daß die Steine feucht waren, waren sie auch schmierig, und sogar diese Steine hatte Giordano verraten. Sie waren schmierig von Algen, die ihr Lebenslicht hatten, wo er langsam erblindet wäre. Es konnten nur noch Stunden sein, vielleicht nur noch Minuten, bis sie ihn zum ersten Bad seines dritten Lebens abholten, und trotzdem oder deshalb wollte er sich mit dieser alten Geste verabschieden. Kopernikus zu verleugnen, war Giordano nicht schwer gefallen. Der Herr Domherr hatte die Zeit, in der die frommeren Männer der Kirche brav onanierten oder keck die Beichtkinder fickten, eifrig genutzt, um mit seiner irdischer Wollust den Lauf der Gestirne zu beobachten. Nur ein wenig Tinte hatte er gespritzt und das Kind seiner Lust erst auf dem Totenbett anerkannt, und nichts am Buch des Kopernikus leugnete einen bärtigen Weltingenieur. Wahrscheinlich hatte der Herr Domherr weiter an die Neubeseelung der verwesenden Leichname gedacht, und dann hatte er natürlich gehofft, zur Seite des alten Mannes hocken zu dürfen und von der Höhe des gemeinsamen Wissens aus die regenwurmhirnige Inquisition auszulachen. Den König von Navarra hatte Giordano noch besser verleugnen können, weil Henri sich gegen weit schlimmere Attentate behauptet hatte und selbst je nach Bedarf seine hugenottischen oder katholischen Anhänger in die ihm vorgehaltenen Pfannen haute. Zu bereuen, daß er als Jüngling aus dem Kloster entlaufen war, war Giordano jedoch am leichtesten gefallen. Den üblichen, leichten Mönchswitzen über Gott, Kirche und Welt hatte er in wirklicher Verblendung den schweren Streit vorgezogen: wider den katholischen Eifer von Paris, wider den calvinistischen Eifer in Genf, wider den lutherischen Eifer zu Wittenberg. London und Prag hatte er zwar gesehen, aber die Bibliothek seines Klosters hatte mehr Weite und mehr Geruch von Welt enthalten, und nach Weiberfleisch gierend wie ein Verhungernder nach Bohnen, hatte er doch nur gefunden, daß sie einzeln und als Eintopf weit weniger aufregend waren als die Zellenträume von ihnen... Nahm Giordano all das zusammen, war er tatsächlich von seiner Berufung zur Besserung der Welt abgeirrt, und ergo hatte er guten Gewissens widerrufen und Umkehr geloben können. Daß die Inquisitoren mit ihren Regenwurm-Hirnen dazu das übliche Brimbamborium veranstaltet hatten, war Giordano schon etwas peinlich gewesen. Andererseits: daß er den hochwürdigen Pater Inquisitor und den hochwürdigen und hochedlen Herrn Apostolischer Nuntius um ihr Hauptvergnügen seines peinliche n Verhörs betrogen hatte, milderte Giordano sogar diese Peinlichkeit. “Demutsvoll bitte ich Gott den Herrn sowie die hohen Herrschaften hier um die Vergebung all meiner Irrtümer...” Ihn auf den Urteilsspruch und seine weitere Verwendung warten zu lassen, war die letzte Tortur, die die Bande noch über Giordano zu verhängen hatte. Schon was sie beschließen würden, war ihm wieder egal. Es würde allemal gemütlicher sein, noch ein, zwei Jahrzehnte vor sich hin zu faulen als in einer Stunde des Lichts aufzulodern und aufzuhören. Vor diesem Feigling Kopernikus hätte auch Giordano seinen höchsten Lebenssinn darin sehen können, im Mittelpunkt der Welt den Märtyrertod zu sterben. Da er aber nun wußte, daß jeder Stern eine Sonne mit Erden und Moden, nervenden Weibern und vertrockneten Predigern war, lobte ein Tod auf einer der Erden den Schöpfer unzählbarer Welten wahrlich nicht allzu heftig. Sie konnten ihn noch ein wenig modern und noch ein wenig verdursten lassen, doch bald schon mußten sie ihn nun in eine Dorfkirche, in eine Klosterzelle oder auf eine Missionsreise nach Westindien schicken. Er würde sich also ein kleines Gemüsefeld anlegen, die alten Griechen ein weiters Mal neu deuten oder mit ein paar Kannibalinnen einen neuen Stamm zeugen. Die Wahrheit über die Welt verlegte er dann eben in die Zeit nach diesem gottgefälligen Tun, und es würde allemal ausreichen das Größte Buch vom Sterbebett aus an den Verleger zu senden. Vielleicht, im schlimmsten Fall, kam dazu, daß er gegen seinen Durst an einem westindischen Stein nuckeln mußte, wie er es nun an einem venezianischen tat. Kaum berührte seine Zunge den schmierigen Stein, wurde Giordano von Brechreiz gewürgt, doch keine Sekunde später leckte er wie an der prallen Titte seiner geliebten kannibalischen Wöchnerin. Mit zwei Fackelträgern war die Wirklichkeit in den Kerker gepoltert, den violetten Matronen-Rock kniehoch gerafft: der Hochwürdige und Hochedle Herr Apostolischer Nuntius. “Der Heilige Vater würde mir das nicht glauben, nein”, höhnte die Kastratenstimme. “Der Autor des Machwerkes ‚Die Heroischen Leidenschaften’ unter der Knechtschaft seines Leibes! Was würdest du Steinbeißer dann wohl alles für die Rettung deiner Seele tun?” “Alles”, sagte Giordano. Das Knien vor goldbehängten Eunuchen war ihm von Kind an schwergefallen, aber in seiner konkreten Bauchlage war es ja ein halber Aufstand. “Alles”, wiederholte Giordano und richtete sich zu einer Geste der Demut auf. Nur seine Zunge war noch nicht zugehörig abgestumpft. “Sogar den Arsch würde ich euch lecken, Hochwürden!” Hastig griff Giordano nach der parfümierten Hand des geschlechtslosen Monstres. “Schwer zu glauben!” Der Nuntius versteckte seine Hände hinter dem Rücken, obwohl er zu diesem Behufe den Rocksaum in Schlamm und Kot fallen lassen mußte. “Das klang doch noch sehr nach der alten Hoffart und Verstockung, mein Sohn!” “Es war aufrichtig gemeint”, sagte Giordano zerknirscht. Warum sollte seine analytisches Hirn gerade seine verräterische Zunge nicht verraten? “Ich habe nur aus Gewohnheit noch im Ton meiner irrigen Bücher formuliert, Hochwürden!” Der Nuntius grinste. Er grinste breit und lange, bevor er langsam den rechten Fuß vorsetzte. “Wenn du mir die Schuhe säuberst, genügt das! Für den Anfang...” Auch die Fackelträger grinsten, und der Rechte senkte den Harzbrand, um die Szene der Unterwerfung besser zu beleuchten. “Der Heilige Vater, nein, er würde mir das nicht glauben”, lachte der Nuntius. Er rührte mit dem linken Fuß in einer schillernden Lache, bevor er ihn gegen Giordanos Lippen stieß. “Aber er wird das ja selbst sehen können, der Heilige Vater! Sehr bald schon...” “Heißt das”, keuchte Giordano und hielt inne. “Soll das heißen, ich muß nach Rom? Ich komme nicht frei?” “Ja, hast du gedacht, der Vatikan sieht tatenlos zu, wenn das größte Schwein des Jahrtausends mit einem erlogenen Reuegrunzen vom Bratrost springt?” Der Nuntius lachte und wackelt auffordernd mit dem Fuß. “Ja, du wirst noch Unmengen Stiefel lecken müssen! Und Ärsche, wenn es einigen geweihten Sodomitern gefallen sollte... Vor allem aber wird deine freche Zunge Seite für Seite deiner Bücher ausradieren müssen, wenn du nicht doch noch brennen willst!” Der Nuntius schnaufte zufrieden, weil ihm eine so wortgewaltige Attacke gelungen war, der früheren Fürchterlichkeit dieses Ketzers angemessen. “Aber das erste Mal, das schwerste Mal, hast du ja gleich überstanden, mein Sohn!” Giordano setzte sich in den feuchten Dreck des Kerkerbodens und preßte den Arm vor den Mund. “Das... Das wäre nicht gut...” “Das ist bereits beschlossen. Bei nur zwei Gegenstimmen liefert dich die freie Republik Venedig an uns aus!” “Aber das würdet ihr bereuen”, rief Giordano. Er grinste. Er kicherte, und schließlich lachte er. Er lachte ein wenig falsch, aber das fiel nur ihm auf. “Wenn ich... Wenn ich noch einmal widerrufen soll, bedeutet das nach aller Logik... Ihr Idioten! Ihr...” Giordano lachte unter Tränen, aber er lachte, und zum Schluß lachte er sogar vor allem und herzhaft. Die Wahrheit war stärker als alle List und Verstellung, sogar stärker als seine List und Verstellung. “Aber wenn sogar der Herr Apostolische Nuntius meinen, daß die Welt das erfahren müßte... Dann bitte, dann gerne: Euer Glaube ist eine Sammlung ausgewählter Gotteslästerungen! Hundert Mönche wären so gut wie hundert Esel, wenn sie genauso viel tragen könnten! Und der einzige irdische Ort, wo Gott nicht ist, ist Euer Rom: da hockt sein Stellvertreter, nämlich! Und der, der kann mich mal!"
|
|