“Sie haben ohne Zweifel erwartet, hier meinen Vorgänger anzutreffen”, höhnte der Staatsanwalt und kniff das Mundstück der Papyrossa. “Nun: mein Vorgänger ist Ihnen vorangegangen. Er hat das Geständnis schon unterschrieben, ist schon  dem  Sondergericht überstellt.”

“Dann bin ich also frei”, fragte ich.

“Frei?” Der Staatsanwalt ließ das Hölzchen bis an seine Fingerkuppen brennen. “Sie sind jetzt frei,  die Wahrheit zu sagen! Sie müssen Ihre Kumpane in der Justiz nicht länger decken, und insofern sind Sie... Nun, sagen wir nicht ‘frei’,  sagen wir ‘erheblich freier’.”

“Aber das ist verrückt”, flüsterte ich. “Ja, sind denn hier alle verrückt geworden? Ich, ich habe damals den verplombten Waggon besorgt, Genosse! In jeder Parteigeschichte steht das!” Mein Magen krampfte sich zusammen, vor Hunger und im Verstehen. “Oder stand...”

“Haben wir in den Akten.” Der Staatsanwalt klopfte auf den erstbesten Ordner. “Wenn Sie wollen, fangen wir gern mit diesem mysteriösen verplombten Waggon an. Knacken wir die Plombe, sozusagen!” Der Staatsanwalt kicherte ber den Witz und blies mir eine Portion Rauch ins Gesicht. Er hielt für eine Gemeinheit, was mir eine Belohnung war. “Das war wann, exakt? Von wem war die Idee? Und zur Hauptsache: was war drin in diesem Eisenbahnwagen, den Sie in verbrecherischer Absicht der Kontrolle der Staatsorgane entzogen?”

“Exakt...” Ich legte den Kopf in den Nacken, als müsse ich überlegen. Tatsächlich aber wollte ich die Chance nicht vorübergehen lassen, dem Licht für die kurze Zeit bis  zum wütenden Kommando, bis zum nächsten Faustschlag zu entkommen. “Exakt war das 17, im März oder April. Ja, vor dem 9. April! Und die Idee war von Mar- tow.”

“Adresse? Und ist das der richtige Name oder ein Deckname?”

“Ist längst tot, in Deutschland gestorben.”

“Emigrant also”, hakte der Staatsanwalt nach. Im Unterschied zu den Bluthunden und wohl, weil er mich für kooperativ hielt, in seiner Ahnungslosigkeit, gönnte er mir die Erholung der Augen.

“Ein menschewistischer Emigrant, ja”, sagte ich langsam. “Der richtige Name war, warten Sie..., war Zederbaum, Juri Zederbaum.”

“Jude also. Sehen Sie, heute kommen wir tatsächlich weiter! Und nun spucken Sie schon aus, was in dem Scheiß­waggon drin war!”

“Lenin”, sagte ich und zog in Erwartung der üblichen Schläge den Kopf zwischen die Schultern.

“Leni...”, las der Staatsanwalt mit, während er mit quietschender Feder schrieb. “Lenin? Hast du tatsächlich ‘Lenin’ gesagt, du tollwütiges Schwein? Du räudige Ratte, du Ficker deiner faschistischen Mutter wagst es tatsächlich, den heiligen Namen des Genossen Lenin in dein zahnloses Maul zu nehmen? Ja, wäre er nur einfach über deine syphillitischen Lippen gekommen! Du beschuldigst Wladimir Iljitsch, ja, von deinen Schiebereien gewußt, an ihnen teilgenommen zu  haben? Du..., du...”

“Nicht gewußt”, sagte ich hastig. “Wir haben ihn natürlich getäuscht, sein Ansehen mißbraucht. Haben ihm irgendwas erzählt...”

“Was könnte der Genosse Lenin euch schon geglaubt haben?”

“Die Revolution, eure Revolution. Und daß  er da dringend  hinmüßte, daß es nur diesen Weg gäbe und so...” Ich hätte mich anspucken können, für dieses Eingehen auf ihre Spielereien. Da warfen wir uns der Länge nach in fast jedenDreck, nur damit sie uns nicht hineinstießen. “Und es war ja auch Revolution in Rußland, das machte die Geschichte glaubhaft!”

“Und was war nun wirklich in diesem plombierten Waggon”, fragte der Staatsanwalt. Er bekam den Ton fast komplizenhaft hin. “Und denken Sie jetzt einmal nicht an Ihre Mitverschworenen, die übrigens schon gestanden haben! Was war drin?”

“Wirklich war darin...” Ich starrte freiwillig in die Scheinwerfer. Außer Waffen fiel mir nichts ein, was ich geschmuggelt haben könnte, ohne  daß ich mich zum gewöhnlichen Kriminellen stempelte. Andererseits war es eine Idee für hundert Faustschläge, zu behaupten, ich hätte einen Waggon Waffen durch das Welkriegs-Europa geschmuggelt.  Und überhaupt  konnten  sich  die Gangster im NKWD auf die hohlen Köpfe stellen: die Organisation dieser Fahrt war etwas, was sie nicht aus der Welt lügen konnten. Nicht das Wissen darum, aber doch der Fakt würde noch von mir übrig sein, wenn nur noch sie und  ihre Kinder da waren.

“Wirklich war darin..., waren darin Lenin und etwa fünfundzwanzig, dreißig andere Revolutionäre. Gute Genossen...”

“Was jetzt kommt, hast du dir selber zuzuschreiben!”  Der Staatsanwalt klang nicht aufgeregt, aber er drückte auf den gut sichtbar angebrachten Klingelknopf. “Aber das trifft sich auch! Die Genossen Offiziersschüler müssen noch für die Prüfung trainieren, du...,  du... Fondue mache ich aus dir stinkendem Schweizer Käse!”

Ich versuchte, es herunterzuschlucken, aber ich kam nicht gegen das Lachen an. Ich stank tatsächlich, und ich war aus der Schweiz herübergekommen, in das Land der Hoffnungen, und endlich hatte ich die lange erflehte Idee.

“Weil... Weil wir Lenin und die Bolschewiki loswerden mußten, bei uns. Lenin war dahinter gekommen,  daá wir das Attentat vorbereiteten. Sie wissen schon, das Attentat auf Geßler!”

“Moment noch, Genossen”, sagte der Staatsanwalt zu den beiden Polizisten, die schon ohne die Uniformjacken ins Zimmer traten. “Setzen Sie sich, setzen Sie sich! Vielleicht brauchte er einfach ein paar Zuhörer mehr für seinen Sirenengesang. Sie gestehen also Ihre führende Mitwirkung an jener abscheulichen Bluttat gegen Genossen... Wie war der Name?”

“Geßler. Das war der Führer der Revolutionären Schwyzer Internationa­listen, Hermann Geßler. Deshalb also mußten wir die Bolschewiki los werden, und bei Küßnacht haben wir den verdammten mißratenen Schusterssohn ja auch erwischt!”

Der Staatsanwalt drückte die Papyrossa aus und bereitete sich die nächste vor, echt im Jagdfieber. “Wer ist ‘wir’? Wer außer dir hat noch mitgemacht?”

“Staufacher, Werner. Baumgarten, Konrad. Fürst, Walter. Ja, und die Monarchisten Arnold von Mechtel und Jost von Weiler.” Ich lächelte dem Staatsanwalt und den beiden Schlägern so freundlich zu, wie ich nur konnte. Auf der Fährte konnten sie endlos forschen, und vielleicht entkamen ihnen dabei diejenigen, die ihnen einmal das Genick brechen würden, ihnen und ihrem mißratenen Schusterssohn. “Aber geschossen haben wir beide, ich und Tell, Wilhelm. Und wir würden es wieder tun, alles! Doch...”

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