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Eigentlich war nur Neles Kopf explodiert, und genau diesen Eindruck mußte Thyl von ihrem Ausbruch auch bekommen haben. Neles Arbeiterinnenfäuste droschen das Bett. In den Winkeln ihres breiten Mundes stand Schaum, und Neles Ammenbrüste verströmte ammenreichlich Schweiß, ohne dafür eine Belohnung zu bekommen. Kein Griff in die Leistentäler brachte Nele aus dem gestreckten Galopp, und erst als sie atemlos begriff, daß sie ihn nicht mehr brauchte, erinnerte sich Nele an Thyl. Mitten aus ihrer Hochzeit, vom Gipfel des Hexenrittes kippte Nele nach vorn und landete klatschend, und als sie sich von Thyls nassem Bauch auf ihr feuchtes Laken rutschen ließ, schmatzte es laut zwischen ihren verschiedenen Häuten. “Du hast ‘Margit’ zu mir gesagt”, erklärte sich Nele. “Quatsch”, sagte Thyl eilig. “Doch, echt! Du hast echt vergessen, daß dich ‘ne Negerin bumst, eine halbe...” “Das geht doch gar nicht”, beharrte Thyl. Allerdings klang er schon unsicherer. “Und wenn? Ist das schlimm?” Nele atmete tief aus. “Na, bin ich zu Boden oder in die Luft gegangen? Hast du wenigstens das mitgekriegt?” Nele hatte das Gefühl, eifrig werden zu müssen, aber weil die letzte Bockwurst gegessen und der letzte Wodka getrunken war, ging es ihr wie der Squaw dieses berühmten Indianerhäuptlings. Sie stellte fest, daß sie ihre Bettdecke nicht essen konnte, und zerrte sie über den verlegen schwitzenden Thyl. “Mensch! Ich werde das in meinen Memoiren erwähnen, denke ich...” Thyl kratzte sich die Stoppeln, weil er Nele eben in exotische Bausteine zerlegte. Er wußte nicht, ob er ihre Gorillanase und die Löwenkiefer für den immer nur geplanten Jahrhundertroman brauchte, oder ob er die zitzengroßen Poren der glänzenden Brustwarze Klaus Lammert verraten würde. In einer Nachwehe des Orgasmus oder gegen das Licht der Leselampe schoben sich Neles dicke Lider von oben und unten vor die grünen Augen, und ihr breiter Mund erinnerte Thyl bereits wieder an eine heiße überreife Feige. “Woman is the nigger of the world”, sang Thyl im letzten noch möglichen Moment an. “Nigger is the woman of the world...” Weil er aber nicht wußte, wieviel Pop und Englisch eine Unterstufen-Lehrerin und Königin der Unterwelt studiert hatte, dachte sich Thyl, daß er als müder Held wohl am besten aus der Klemme kam. Die Biere der S-Bahnkneipe hatte er ohnehin schon beschuldigt, und neben ihm gähnte auch Nele so gewalttätig, wie sie ihn vor Minuten geliebt hatte. Thyl bekam eben noch mit, daß er tatsächlich dabei war, neben einer schwarzen und verrückten Nymphomanin einzuschlafen, da lag er schon wieder hellwach. Anders als nach früheren Besäufnissen drehte sich diesmal nicht alle Welt um ihn, sondern er bohrte sich auf ihren Mittelpunkt zu. Daß Thyl nach Neles Hand tastete und die Augen aufriß, änderte daran nichts. “Du auch”, fragte Nele und bohrte die Fingernägel in Thyls Handfläche. “War die Bockwurst grün oder nehmen die jetzt Marihuana statt Majoran?” Das Dachfenster mit einem hellen Stern in der rechten oberen Ecke verschwand und erschien in regelmäßigen Abständen, und dazu entfernte es sich immer weiter. “Dein Durst und deine Gier”, setzte Thyl einen Witz an, und genau in diesem Augenblick fielen sie mitsamt dem Bett in einen gelb leuchtenden Schacht. “Du Hexe...” Endlich warf sie ein Ruck gegeneinander, und während das Bett in einen grünlichen Nebel und durch einen langen, neonkalten Korridor fuhr, hakten sich Nele und Thyl unter und verhakelten ihre Finger. Ihre Reise endete in einem großen, kreisrunden Raum, hinter einer lautlos schließenden Tresortür, und drei Räder drehten sich blitzend nach einer dreizehnstelligen Kombination. “Bei der Richtung müßte das die Vorhölle sein”, versuchte Nele, sich und Thyl mit einem Witzchen Mut zu machen. “Obwohl es langweilig wie im Himmel ist”, spielte Thyl mit. “Dabei habe ich mir die Hölle immer wie eine Kreuzung von Disko und Staatsempfang vorgestellt: verdorbene schöne Frauen, satisfaction von einem Sinfonieorchester und Vetter Hartmut schon vor mir da.” “Vielleicht ist es auch nur der Wartesaal? Warum sollten wir gerade nach Pech und Schwefel nicht anstehen müssen?” Eher aber waren sie in der Klärgrube der Welt gelandet. Der Grund unter ihrem Bett schaukelte leicht. Kupfergoldene und grünspanene Schuppen stellten sich auf, und aus ihren Risssen quollen zähe leuchtende Blasen. Platzten die Blasen, strömte Faulgas aus, und Thyl versuchte noch, in den Reflexen auf den Blasen Bilder zu erkennen, als Nele aufschrie. Ein Zipfel ihrer Bettdecke war in den Höllenteig gerutscht, und an dieser Stelle qualmte es und roch es verbrannt. Langsam rutschte nun die ganze Steppdecke dorthin. “Thyl”, schrie Nele ein zweites Mal. Ohne ihn würde sie loslassen oder in etwas hinab müssen, was sie sich nicht als Schönheits-Schaumbad vorstellen konnte. Thyl drückte Neles Finger fester, griff mit der freien Hand in den Stoff und wartete noch einen Moment. Nele nickte, und dann rissen sie mit aller Kraft an der Zudecke und bekamen sie frei. “Gott, und das bei den Preisen heutzutage”, jammerte Nele. “So ‘ne prima Zweite-Wahl-Bettwäsche bekommst du doch überhaupt nur als Verkäuferin, und die Steppdecke war zwar schon älter, aber auf der Oberseite echt Seide!” Die aufgedruckten Blüten sahen verwelkt aus, waren nun braun statt orange, und auf die Ecke zu wurde der Stoff löcherig, war er an- und aufgefressen. Sogar die Spitze der Steppdecke fehlte. “Und jetz wird die Scheiße auch noch wütend”, stellte Thyl fest. Die Blasen wurden größer und hielten länger. Sie folgten schneller aufeinander und zeigten nun deutlichere Szenen. Erdfontänen spritzten, auch gleichmäßig atmende Brustkörbe wurden von Skalpellen aufgeschlitzt, und ein friedliches Mädchengesicht schrie plötzlich lautlos und wurde von einer aufsteigenden Flamme am Kinn geleckt. Auf der Treppe des Pergamon-Altars zerstückelten Bärtige in Sauna-Laken Cäsar, und ein fischstummer Rocksänger nahm seine Gitarre am Hals und zerschlug sie am Lautsprecherturm. Die meisten Szenen waren harmlos. Die Familienväter aller Zeiten saßen in Versammlungen und Gottesdiensten, schrieben Zahlenkolonnen und küßten beim Heimkommen die Familienmütter aller Zeiten. Die Nerven trafen und ins Gedächtnis gruben sich jedoch die anderen Bilder. Ein Fleischer drückte Lamm um Lamm auf eine steinerne Bank und zerschnitt mit kleinen Bewegungen Kehle um Kehle. Eine Feuerzeug-Flamme zündete eine Zigarette an und schwebte dann unter eine steife, schon blutende Brustwarze. Nele und Thyl konnten diesem Fernseh -Terror weder entfliehen noch nur mit den Augen ausweichen, und je länger sie hinsahen, umso mehr fiel ihnen ein unauffälliger, kaum mittelgroßer Mann auf. Er erinnerte an Marcello Mastroiani in Zuhältermaske, und durch alle Moden hatte er seinen schmalen, aber kaum grauer gewordenen Oberlippenbart im Gesicht behalten. Er legte Caligula die Ernennungsurkunde für sein Pferd und dem rumänischen Präsidenten einen nicht weniger wahnsinnigen Erlaß zur Unterschrift vor. Als Oberst Tejada in die Decke des spanischen Parlaments schoß, blieb außer dem Kommunisten Carrillo und dem Sozialisten Gonzalez nur dieser Mann unerschrocken zwischen den Abgeordnetenbänken stehen. Selbst in der Großraum-Folterkammer der Inquisition galt sein Interesse nicht den verrenkten wehrlosen Frauenkörpern, und wie damals und dort waren auch in einem blitzenden Badezimmer, vor dem in feuchten Stoff gewickelten Kopf und den in blanke Elektroden geklemmten Hoden, Papier und Schreibgerät seine einzigen Werkzeuge. Ihm fiel der angeschossene Papst in die Arme, und er hatte General Custers letzte Befehle notiert und in Breshnews Verschnaufpause begeisterten Beifall gespendet. “Der Ewige Buchhalter”, folgerte Nele und drckte sich an Thyl. “Sie! Kollege! Können Sie uns hören?” “Dem sein Kollege möchte ich gar nicht sein”, nörgelte Thyl. Er fand es lächerlich, sich mit einem Fernsehhelden zu unterhalten, und wie ihnen ein Gespräch aus ihrer Lage helfen konnte, konnte er sich auch nicht vorstellen. “Sie! Sie beobachten uns doch!” Nele wurde lauter, tollkühn. “Hej, Sie Spanner! Schreibtischmörder, Sie!” “Die Hundephilosophen Krates und Hipparchia”, hauchte es Nele und Thyl in die Nacken, eiskalt und brühheiß. Wie lange Cowboy-Peitschen trafen und umwickelten durchsichtige gelbe Schläuche ihre nackten Körper, rissen sie voneinander weg und schnürten sie aneinander. “Der Spinner aus Nazareth und die Hure Maria aus Magdala! Auferstanden, um wieder erdrosselt zu werden, ist Inka Inti Cusi Huallpa, der das bestverwaltetste aller Reiche der Sentimentalität opfern wollte. Auferstanden, um noch einmal entdärmt und gepfählt zu werden, ist seine Königin, die Anregerin und das Nest seiner Samen und Pläne, Chuquy Huypa. Ich präsentiere Euch, Exzellenz, Don Alonso Quintana, genannt Quijote, und seine Magd Aldonza, Thyl und Nele aus Flandern...” “Genug”, bellte es aus Batterien unsichtbarer Lautsprecher. Vor Nele und Thyl wurde ein Stück der Wand durchsichtig, und dahinter stand zwischen Monitoren und Computern der Ewige Buchhalter, ein Whisky-Glas in der Hand. “Wo ist der Dritte, verdammt? Zwei sind niemand, wie das Orakel sagt, Die Drei sind der einzige Feind! Sie sind kein Doppel-Null-Agent, Bond! Für mich sind Sie eine absolute Null!” Thyl sah sich über die Schulter nach dem berühmtesten aller Spione um, und wie er vermutet hatte, ähnelte James Bond dem großen Sean Connery nicht einmal im Typ. Ein ehrliche Regisseur hätte Woody Allan engagiert: ungefähr so duckte sich Bond, ältlich, dürr, rotblond und dick bebrillt, unter der Kritik seines Chefs. “Sir”, stammelte James Bond, “Exzellenz..., ich...” Dann verwandelte sich Bond mitsamt Q’s Verhörautomaten in einen Kraken, der das entführte Pärchen in seinen Fangarmen hielt, die im nächsten Augenblick die Kabel eines Spielautomaten und gleich darauf die Datenbänder eines Computers waren. “Onesikritos, der großmäulige Steuermann Alexander des Großen! Der Ungläubige Thomas, Sancho Pansa und Lamme Goedzak”, ächzte James Bond als halbzerfallene Zahlbox des 95er Busses. “Dieser öde Clown, dieser prinzipienlose Fresser!” Aus den Kabeln der Spionage-Kaffeemaschine fuhren Stromstöße in Nele und Thyl, und die Enden der Kabel drehten die Spitzen ihrer Achsel- und Schamhaare zusammen und rissen daran. “So einen spricht der cleverste Lockspitzel nicht an, und heben wir einen Terroristen-Treff aus, ist er mit Sicherheit nicht dabei: von irgendeiner Pommes-Bude aufgehalten! Aber ihr...” Aus den Schläuchen stießen unzählige Kanülen, und durch sie schoß blau das Serum der Wahrheit in Nele und Thyl. Alle Geheimdienste der Welt nannten diese Substanz so, obwohl sie nur alle Schmerzen verzwanzigfachen, Herzen antreiben und Lungen lähmen konnte. “Aber ihr, wenn ihr euch retten wollte, werdet ihn doch zu unserem Empfang einladen? Wie war doch gleich die Telefonnummer?” Auf den schwellenden Beulen des Bodens spiegelten sich Kristallwannen voller Kaviar, Pyramiden aus Hummer-Schwänzen und Schwärme gebratener Wachteln. In dreihundertdreiunddreißig silbernen Leuchtern brannten neunhundertneunundneunzig teuer parfümierte Kerzen. “Ihr wolltet ihn doch sowieso mitbringen, nicht?” “Das Licht”, stöhnte Thyl, “nehmt das Licht weg!” Er sah jede Kerze als eine Sonne und spürte deutlich, daß er nicht allein an Herzflattern und Atemstillstand sterben würde. Er würde noch dazu im eigenen Speichel ertrinken. “Nicht einmal hierher wollte ich! Sie...” “Das Licht”, stöhnte auch Nele, aber als sie die Lider schließen wollte, stieß sie sich zwei glühende Messer in die Augäpfel. “Thyl”, schrie Nele, “nein, nicht! Laß mich nicht los, verpeife mich nicht!” “Sie”, forschte James Bond und verwandelte sich für Thyls Augen in eine kalifornische Villa mit swimming pool. “Du wolltest also nicht, aber sie...” Seine um Thyl geschlungenen Fangarme lockerten sich und bekamen Masseusinnen-Finger. Schmale, manikürte Hände schirmten Thyls Augen durch ein aufgeschlagenes Playboy-Heft gegen das Kerzenlicht. “Wir vermuten das schon lange, daß sie die eigentliche Drahtzieherin ist... Du dagegen... Weißt du, was in unserem Recht ein Kronzeuge ist? Du bekommst eine neue Identität, eine ganze Existenz, wenn du gegen sie aussagst! Gegen die...” Im Schatten des Playboy blätterte Bond ein großes Album Nele-Fotos durch. In einem römischen Circus ließ sie sich von einem Esel begatten, und in einem Hinterhof-Zimmer setzte sie, alt und fett geworden, elf verschieden dunkelen Kindern dünne Suppe vor. Nele war es gewesen, die mit einer Kapuze maskiert die Stadion-Gefangenen von Santiago nach den Meistgesuchtesten inspiziert hatte, und dem in den Lieferwagen gestoßenen Aldo Moro hatte sie aus nächster Nähe in den Kopf geschossen. Nele war bei Urinieren und beim Gebären abgelichtet, tobte in einer Psychiatrischen Zelle und lag unter einem kahlen Steppenbaum, Geierköpfe im gedunsenen Bauch. Immer wieder bediente sie mit allen Öffnungen und Gliedern Männer und Frauen, Maschinen und Haustiere, und keine der Aufnahmen zeigte sie schön oder nur bemitleidenswert. “Und das ist nur, was ihr Schwarz auf Weiß und in Farbe nachzuweisen ist”, flüsterte James Bond eindringlich. “Halten wir also fest: du wolltest all das nicht, aber sie...” “Aber sie”, begann Thyl. “Nein, nicht”, jammerte Nele. “Dann war ja alles das noch gar nichts! Dann wirst du schuld sein, wenn...” “Ich wollte überhaupt nicht hierher, ja”, sagte Thyl, “sie... Sie wollte ich, gottverdammich...” Die Antwort war unklug, ja, untaktisch, denn sofort schnitten die Schläuche, Fangarme oder Kabel Thyl in Appetithappen für den vorgespiegelten Empfang. Thyl hatte freilich nicht anders gekonnt, nackt neben seiner ersten bunten Geliebten und das Serum der Wahrheit in der kleinsten Ader. “Sie wollte ich”, jaulte Thyl auf, weil Bond auch noch die Aufgeil-Zeitschrift wegwarf. “Und wenn ich sie nur in dieser Hölle haben kann, Pech und okay...” Der Berühmteste aller Spione verwandelte sich in einen Dutzend-Colaautomaten, der dampfte, kochte und unter dem eigenen Druck tanzte. Die Fesseln um Nele und Thyl wurden heiß, begannen zu glühen. “So ist das bloße Energieverschwendung, Null hoch zwei”, tadelte der Ewige Buchhalter. “Das Orakel lautet: Zwei sind niemand, und niemand stirbt niemals, aber vermutlich schaden sie auch nicht. Es würde nur unnötige Mühe machen und Kosten verursachen, die neuen Aufenthalte ihrer verdorbenen Seelen aufzuspüren... Bring sie also zurück, 00!” Noch einmal dröhnte sein Whisky-Schlürfen durch den Raum, dann wurde die Wand vor dem Schaltzentrum des Ewigen Buchhalters wieder undurchsichtig. “Na, und da ich schon das Vergnügen mit ihnen hatte, wird ihre letzte Frist sie nicht freuen”, hallte die leidenschaftslose Stimme nach. “Und trotzdem ist das einseitig gedacht”, wimmerte Nele. Die gelben Fesseln lockerten sich und gaben sie frei, aber im nächsten Augenblick preßte ihr Thyl die Hand auf den Mund. Die Hand stank nach Angst- und Todesschweiß und war ein tonnenschweres Reibeisen, und obwohl Nele ihn mit aller Verzweiflung Afrikas biß, hielt Thyl die zweiunddreißig Löwenzähne aus, bis sich das Bett wieder dem Dachfenster und dem hellen Stern in der rechten oberen Ecke entgegenschraubte. “Wenn wir drei Ihr eiziger Feind sind, Sir”, schrie Nele rechthaberisch, “dann könnten ja auch wir gewinnen! Dann ist das vielleicht Ihre letzte Frist!”
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