![]() |
||||||||||||||||||||||||||
|
“Also ich hätte es lustig gefunden, in einem Puff zu wohnen”, sagte Nele. Sie klang weinerlich und versuchte krampfhaft, wenigstens ihren linken Mundwinkel nach oben zu bekommen. “Dafür hätte ich ja auch ab und zu mal ausgeholfen, ist doch klar!” “In den Stoßzeiten sozusagen”, witzelte Lamme. “Und gönnen würde ich es dir und uns bestimmt, aber mehr war wirklich nicht zu machen, aus dem Knall. Und die Versicherung, die ich uns verkauft hatte, war doch nicht schlecht, nicht?” “Ich habe auch nie verstanden, warum nicht täglich eine Bude explodiert ist.” “Was sollte die Stadt denn mit sovielen Puffen”, spaßte Lamme weiter. Ohne hinzusehen, faßte Lamme nach Lord Baskervilles Halsband, und Thyl verstand, daß die drei keine Augen fr ihn und seinen angesengten Trabant hatten. Eine nicht einmal übermäßig große Abrißbirne schwang eben zurück. Sie riß die längsten Zweige der Nachbar-Kirsche ab und schlug in die Schlafzimmerwand der Hausbesitzerin. Schon ihrem zweiten Anprall gaben die jahrundertalten Ziegel nach, und der Dachrest über Neles Bedürfniskammer fiel ihnen klappernd nach. Angekohlte Balken und Bretter zersplitterten, und Minuten später war von der Dachwohnung nur noch das metallene Spülbecken übrig. Es schwankte auf seinem Zuleitungsrohr wie die Fahne einer Festung, die den letzten Angriff erhoffte. “So nahe kommen wir uns nie wieder”, schluchzte Nele, “uns und dem Paradies!” Nele drehte sich zu Thyl um, und Thyl bestaunte ihr ausgesucht zerrissenes T-Shirt, schwarz und mit echt scheinenden goldenen Klunkern behangen. Schwarz war auch der knackenge Anzug aus feinem Leder, der nur dieses lockende Brust- und Bauchstück frei ließ. “Nun sage aber auch was, du kalter weißer Marmorklotz!” Thyl bog die Unterlippe zwischen die Zähne und kratzte mit den Schneidezähnen die Barthaare. Zwar hatte er in den letzten Stunden selbst sein halbes Leben noch einmal erlebt, aber das traute er den schlimmsten Marktwirtschaftlern und radikalsten Spekulanten nicht zu. Niemand konnte an nur einem Arbeitstag Neles Hauptquartier ausräuchern und das ganze zugehörige Haus kaufen, räumen und einreißen. Trotzdem aber war es passiert und passierte noch. Um das Grundstück stand ein gemieteter Bau-Gitterzaun, und das stolze Eigentümerschild war bereits mit schwarzen und roten Sprays kommentiert: HIER BAUT DIE GRÜNING GmbH, der Porno-King seinen neuen Ost-Puff. Aber der Kampf geht weiter, bei Göttin! “A luta continua”, übersetzte Thyl und umarmte Nele an der Hüfte. “Und ich bin wieder dabei! Und wenn der Herr Grüning dich einstellen würde, Kakaobohne... Der Beute wird er nicht froh, ist versprochen!” “So nahe kommen wir uns nie wieder”, wiederholte Nele und hob die rechte Faust, um die Tränen abzuwischen, “aber soweit konnten wir auch noch nie. Hast recht, das ist die andere Seite! Fahren wir!” Nele steuerte an Thyls angesengtem Trabant vorbei und auf einen Ford zu, der riesig und grau-metallic war. Thyl grinste kaum noch über diesen nicht originellen Witz, aber selbst dieses Grinsen verging ihm, als Nele den Neureichen-Schlitten mit dem Schlüssel aus aus ihrer Jäckchen-Tasche aufkriegte. Lamme ging nicht weniger selbstverständlich zu der aufgestoßenen Hintertür, ließ Lord Baskerville den Vorsprung und winkte, schon halb eingestiegen nach Thyl. Thyl setzte sich neben Nele, die unmöglich so einen Wagen und nach sechs Stunden ohne ihn auch noch keinen Führerschein haben konnte. Wahrscheinlich war all das wieder nur ein Traum, in dem irgendwann der Welt-Buchhalter auftauchen würde, und diesmal würde er sie zu dritt in seiner Gewalt haben, in einer gestohlenen oder doch unbezahlten Silberdose. Mit geschlossenen Augen sah Thyl bereits, wie die Sache ausgehen würde. Er sah Nele auf einen Zahnarzt-Stuhl steigen, ergeben oder arglos, und eine kleine blonde Schwester packte Neles Arme auf die Lehnen. Sie schob ein Instrumentenbrett über die Patientin und zog den Galgen mit den Folterinstrumenten tiefer. Nele konnte einfach nicht bemerken, was Thyl deutlich vor den Augen stand und tanzte. Der Kittel der Schwester war nur ein großes Lätzchen, das nackte Haut und molliges Fleisch in einem roten Lack-Geschirr verbarg. Die Details faszinierten Thyl gegen seinen Willen, und so entging ihm auch das Wichtigste nicht. Statt der üblichen Spuck-Serviette an einem Zierkettchen legte die falsche Schwester Nele die Kette für einen übergewichtigen Wachhund um, und diese Kette wurde an den Behandlungsstuhl geschlossen. “Herr Doktor wird Eure Königliche Hoheit gleich bohren und spritzen”, höhnte die Schwester mit Margits Stimme, und vor Thyls Augen erschien der nackte Rücken eines Mannes. “Ein Wort zur Füllung, zur oberen Füllung”, sagte der Mann und zog eine Spritze auf. “Ich setze Euch einen kleinen Sender direkt auf den Nerv, das Neueste vom Neuen.” Thyl kannte diese unangenehme, ziemlich hohe, aber unmusikalische, ein wenig näselnde Stimme. Er kam nur nicht darauf, wem sie gehörte. “Wir können damit den Schmerz abschalten, Eure Königliche Hoheit... Aber wenn Eure Königliche Hoheit mich, meine Assistentin und unsere Freunde nicht unterwürfiger als die wertloseste Sklavensau und nicht geschickter als die schwanzgeilste Hafenhure bedienen, dann können wir den Schmerz natürlich auch einschalten.” Der falsche Arzt sah auf die Armbanduhr, wartete die Wirkung des Betäubungsmittels ab. “Und nun bereiten Sie die untere Füllung vor, Schwester Margit!” Erst da bäumte sich Nele auf, aber sie wurde von der Kette zurückgerissen und von der gespritzten Substanz geschwächt. Und es war wirklich Thyls Margit, die Neles buntes Kleid raffte und mit einem Skalpell Neles Höschen aufschnitt. Es war Margit nach ihrem zweiten Kind, denn sie strich sich Milch aus den Brüsten, um erst den Schoß ihrer Gefangenen und dann den Schwanz ihres Arbeitgebers damit zu waschen. Willfährig führte sie das das feuchte Glied in Neles Möse ein, und sie stellte sich bereit, um ihren heftig fickenden Chef zu stillen. Für einen Augenblick sah Thyl sich selbst an Margits großen Brustwarzen saugen. “Entschuldigt”, sagte Thyl und schüttelte heftig den Kopf. “Einen Scheiß träume ich... Und dabei wollte ich fragen, wo ihr die Karre her habt!” Thyl steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen und suchte in den Jacken- und Hemd-Taschen nach dem Feuerzeug. “Na, aus einem deiner Scheiß-Träume doch”, sagte Nele und drückte den Zigaretten-Anzünder in die Aufheiz-Stellung. “Aber ich habe ja von Anfang an gesagt, daß es dir nur darum ging, noch mal mit deiner ersten Frau zu bumsen.” “Hat sie gleich gesagt”, bestätigte Lamme. “Es ist keine fünf Stunden her, daß ich Margit wieder mal gesehen habe!” “Und dann hattest du denn Unfall, Alter, nicht?” “Zu derselben Sekunde, in der unter Lammes Versöhnungssuppe der Gasherd explodiert ist”, erklärte Nele. Sie bremste den Ford auf achtzig Stundenkilometer ab, um den Zigarettenanzünder nicht an Thyl zu halten. “Und mir hat dieses Hervorragende Jugendkollektiv Verdienter Neonazis den Molotow-Cocktail vor die Füße geschmissen, exakt da. Weil eine Negerhure und Asylantensau wie ich keinen Schäferhund kommandieren darf, keinen deutschen. Und weil wir alle durch diese Feuer gerannt sind, sind wir irgendwie durch die Zeitmauer gekommen.” “Wie? Und wo durch?” “Ich bin ja hier die Einzige, die nicht Philosoph ist”, lachte Nele. “Völlig klar, daß du da mich fragst!” Mit kaum verringerter Geschwindigkeit jagte Nele den Ford über das Vorvereinigungs-Pflaster, bremste scharf und fuhr durch eine Art Fabriktor, knapp an den Hecken eines Hof-Restaurants vorbei. Nur für einen Augenblick sah Thyl die Goldschrift auf einer rot unterlegten Glasplatte: Uhlen studios. “Und in welcher Zeit wollen wir nach dem Aussteigen leben”, versuchte Thyl einen Witz. “Und wir sind jetzt echt Porno-Produzenten? Oder nur Mafiosi?” “Und wenn”, knurrte Lamme verärgert. “Die Kirche hat sogar mit totem Fleisch angefangen.” Zuerst hatte Lamme ja nur vorgehabt, die für eine ordentliche Provision vermittelte Versicherung mit geborgten und gesengten Kaufbelegen ordentlich abzukassieren, aber bei der Sekt-Feier dieses Erfolgs war ihm der geniale Funke dieses Geschäfts aufgefallen. Wenn sie ihre Anteile ihrem Studio als Kredit bewilligten und es zu einer gemeinnützigen Einrichtung erklärten, bekamen sie außer dem Kredit auch noch eine Investitionszulage und Geld für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Mit Vetter Hartmuts Weib und Geld hatten sie dann schon ohne Risiko den nicht ganz erfolglosen Film gedreht, die sie über Betsy Hamanns Kanäle vertrieben hatten: Die Prinzessin (2): Bis auf den Nerv gebohrt... Ihr Gewinndrittel wurde ihr Kredit an ihr Restaurant, aus dessen Gewinnen sie sich die Zinsen und Zinseszinsen des ersten Kredits zurückzahlten, was sie wiederum in den Stand versetzte, die ganze alte Fabrik zu mieten. Gegen ganz unsensationelle Provisionen konnte Lamme diesen Gewerberaum nun an Künstler- und Werbe-Agenturen und Firmen verteilen, die dem gemeinnützigen Studio steuerlich absetzbare Aufträge gaben und in den Mittagspausen und an den Feierabenden das Restaurant füllten. Lamme jedenfalls schilderte das Geschft so, und schon gegen Ende des zweiten Geschäftsjahrs war Lamme vom Frühstücksfernsehen zum ersten Mal als Erfolgs-Ossi serviert worden. Dick und dynamisch lachte er Thyl und Nele in die verliebten und verschlafenen Gesichter, und den Mit-Hauptstädtern verriet er bereitwillig sein Rezept. “Entgegen allen Zeitungsenten bringen Sie es mit Einem zu gar nichts, und dieses Eine ist die sogenannte ehrliche Arbeit.” Lamme strahlte die Moderatorin an. “Darf ich bei Ihnen eigentlich rauchen?” Während im Studio ratlos getuschelt wurde, spielte Lamme mit der CLUB-Schachtel, und für einen Hunderter sorgte der Kameramann dafür, daß die Marke gut zu erkennen war. “Trotz Fortschritt und Verbot bleibe ich bei meinem Club”, quittierte Lamme das Nein des Sendeleiters, legte den Kopf schief und hörte und überlegte die nächste Telefon-Anfrage. “Ich habe nicht einmal ein Guthaben oder Grundstück gehabt, als Sicherheit. Eine Video-Kamera, ein Bett und die Frau Ihres besten Freundes reichen für den Anfang, und diese Frau muß nicht einmal besonders schön sein.” “Nun rufe ich auch an”, schimpfte Nele los, plötzlich hellwach. “Ich werde behaupten, daß der Bruder seiner Ex-Frau bei der Stasi war oder so ‘was! Das ist doch seine Rache, daß ich ihn noch nie rangelassen habe, verdammt!” “Porno? No! Wieso”, wehrte Lamme währenddessen die Moderatorin ab. “Wir haben mit einem Aufklärungsfilm begonnen, sozusagen, zu einem zahnmedizinischen Thema.“ “Wegen dieser Show mußte er um halb fünf aufstehen”, erinnerte Thyl. Thyl konnte die Glaskanne aus der Kaffeemaschine nehmen, ohne aus dem Bett zu müssen, und das stimmte ihn nun einmal versöhnlich. Sicher konnte jetzt jedermann und jederzeit seine Spielwiese in echtem Holz um- und überbauen lassen, doch dann machte der Bestand der Bretter offenbar, wie sich das jeweilige Paar stand. Vor Thyl und Nele aber standen eine Imbiß-Küche und ein kleiner Video-Laden, und zwischen beiden hindurch sahen Nele und Thyl auf eine große Glaswand, hinter der die Stadt nur zögernd erwachte.
|
|