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Nele fühlte sich in Sophias zu enger Lederhose so unwohl, daß sie auch ohne den Rat ihrer Meisterin kein Wort zu den Frauen gesagt hätte, die sich gar nicht mit ihr unterhalten wollten. Sie zuckten viel zu steif zu den Rhythmen viel zu synthetischer Trommeln, und so wurden selbst aus zierlichen, langhaarigen und rund bebrillten Studentinnen plumpe, schwitzende Männchen. Nele dagegen fror eher, die Füße an den Kachelboden der alten Großfleischerei genagelt, mit den Schultern die Kachelwände des neuen Fleischhofs stützend. Weil sich eine geschorene Korsett-Kellnerin die dickglasigen Bierkrüge vom Tablett nehmen ließ, machte Nele das irgendwelchen anderen nach. Ob sie auf Rechnung einer unsichtbaren Göttin oder ihrer verschwundenen Igel-Prinzessin trank, ob ihr alle Stunden einer Woche gepfändet oder oder alle Gläser des Abends zum Spülen vorgesetzt werden würden, war Nele egal. Sie fand es so anstrengend wie harmlos wie langweilig, offiziell lesbisch zu sein, bis sie wieder einmal, das Bierglas in der Rechten, mit Links eine Zigarette aus der Innentasche der Lederjacke fingerte. Der Sargnagel steckte zwischen Neles, und als sie den Hals in das Dunkel zwischen den bunten Disco-Blitzen reckte, fauchte verläßlich ein Feuerzeug auf. Diesmal aber spiegelte sich die Flamme noch eine Ewigkeit in großen, eher blaßgrauen Augen. Darüber schwitzte ein unordentlicher blonder Pony, Backen und Kinn verrieten, daß die Frau nicht von Mineralerde und Mineralwasser lebte, und die Lippen waren sorgfältig geschminkt. Ganz verkehrt aber war, daß die reife, so klischeehaft weibliche Lesbe zum nächsten Song die linke Brust aus der weißen Bluse tanzte, den blau beschienenen Zeigefinger leckte und damit den schwarzen Rand des Spitzen-BHs von der rötlichen Brust schob. So hätte sich Nele nur in ihrer ehemaligen, patriarchalisch-politbürokratisch verschuldeten Bewußtlosigkeit angeboten, irgendeinem Männchen angeboten, und für einen Augenblick verwirrt sah sich Nele nach Sophia um. Zwei Blitze später aber war die Versucherin verschwunden, und dann dauerte es ein großes Bier, bis die schweißdampfende Meisterin heran stampfte. “Das ist Ute”, kam Sophia jedem Wort zuvor und zeigte af ein Dutzend Stamp-Utes. “Sie will mit dir tanzen!” “Danke”, sagte Nele höflich. “Nicht im Moment. Aber das Klo... Wo ist denn das?” “Hm, gute Idee”, sagte eine Wrestling-Ute und legte den nassen Muskelarm um Neles Schultern. “Da geht es da lang!” Nele blieb ziemlich lange in der Sicherheit der Preßspan-Wände hocken, aber sie fand nicht heraus, warum sich manche Frauen die Männer vom Leibe hielten und abgewöhnten, um sich dann doch wieder von Muskelprotzen betanzen zu lassen. Warum sie in den Fleischhof mit gemußt hatte, verstand sie nicht, und wie sich in der lauten Dunkelheit gleich schlagende Herzen finden konnten, konnte sie sich auch nicht vorstellen. Nele atmete gründlich aus, zog den Bauch ein und schloß die Leihhose, und aus der Kabine tretend, schob sie sich direkt in Utes Umarmung. In ihrem Unterhemd war Ute fast schon nackt, und Nele spürte zitternd einen mannharten Bauch und legte den Kopf in den Nacken, um den von oben kommenden Kuß anzunehmen. “Du, was wird denn Sophia...” “Sophia wollte ja wohl, daß du erst mal mit mir tanzt”, sagte Ute. “Vorher. Und ich weiß von ihr, daß wir zu mir müssen. Ist ja auch viel näher...” Nele hätte sich gern erkundigt, ob sie nun rauschgiftsüchtig und ob Utes phallisches Spielzeug politisch korrekt war, aber alles, was Sophia am nächsten zum vorigen Abend sagte, war eine eigensüchtige Kalkulation: Sie brauchte das jede Woche ein oder zwei Mal, und daß Nele wie eine frische, zu dunkel gebackene Semmel abging, hatte sie ja erlebt. Schon an ihrem Premierenabend hätte Sophia sie verkaufen oder vermieten können, aber Nele war ja keine Sklavin und Sophia keine Zuhälterin, sondern sie waren ein so glückliches wie tolerantes Paar. Partnerschaft hatte nichts mit Besitz und Sex hatte nichts mit Liebe zu tun, und daß die noch durch und durch verostete Schule von so dunklen Leidenschaften nichts erfahren durfte, mußte Nele auch noch klar geworden sein. Während der Lektion spielten Sophias lange Finger in Neles Kopflocken, und Neles Augen verdrehten sich so, daß über ihnen vier Knackbrüstchen ragten und lebten. “Du, die Simone, die Sade zum Mädchen gemacht hat...” “Sartre”, berichtigte Sophia. “Ach, den auch? Also... Lies mir was von der vor!” “Aber Simone de Beuavoir studiert frau! Das ist doch kein Märchenbuch!” “Ich will ja nix davon kapieren”, flüsterte Nele. “Nur ganz dringend einschlafen muß Frau Carvalho...” Es wurde Neles erster West-Frühling. Zur erfolgreichen Fahrprüfung schenkte Sophia ihr einen Fünfhundert-Mark-Trabant, Lamme erfand sich als begnadeter Versicherungsvertreter neu, und Lord Bakerville schaffte es, von der weißen Mischlings-Lady einer kreischenden Oma Vater zu werden. Vor den aussätzigen Wänden um den S-Bahnhof blühten Werbetafeln, und je mehr Zigaretten Nele der linkesten Parkplatz-Vietnamesin abkaufte, umso mehr Geld sparte sie. Der einzige Schatten auf ihrem Leben war Thyl, der dunkel in seine Zudecke gewickelt war, wenn Nele nach einer Vollmond-Nacht im Lesbenclub zurück kam , und der auch tags kaum lebendiger war.
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