Thyl war energisch für die Südsee vor Cook und den Missionaren.

Fette Männer, lockte er Lamme, waren dort und damals von allen Frauen und vom Staatsapparat begehrt worden, und wählten sie die Insel  richtig, würden Neles Hautfarbe und Gesichtsschnitt ganz alltäglich sein. Seinerseits wollte sich Thyl mit der Aufmerksamkeit für seinen blassen Balg begnügen, und fachkundig zubereitet sollte Menschenfleisch eine wahre Delikatesse abgeben.

Thyl sammelte, so knapp sie zu dritt bei Kasse waren, alle erreichbare Literatur über sein Paradies, aber keins der Bücher war ein Schlüssel zu dieser Zeit und Welt.  Sogar in der entsprechenden  Abteilung des Museums für Völkerkunde hatten sie vergeblich den Eindruck erweckt, sie wollten das Musterhaus besetzen.

Stattdessen  erwischte es Thyl beim Pinkeln während eines  Geschäftskaffees. Er war etwas eher als im letzten Moment aufgestanden, um das Kooperations-Angebot des griechischen Fernseh-Machers unabgelenkt zu überdenken,  und als er den Gaffer durch den Häuschen-Türspalt bemerkte,  konnte er das Wasser dann doch nicht mehr halten.

Thyl beschloß, nicht hinzusehen, aber umso angestrengter hörte er hinter sich. Die Tür knarrte ein bißchen, unter den Schuhsohlen des Gaffers schmatzte es feucht,  und dieses Schmatzen kam näher, während  Thyl  weiter die überflüssige Cola abstrahlen mußte. Er trank eben wirklich zuviel von dieser Zuckerbrühe, wie Nele und Lamme ihm täglich predigten.

Der Mann atmete Thyl heiß und von oben in den Nacken, und er wartete ab, bis Thyl die letzten Tropfen abschüttelte. Erst dann faßte der Mann zu, und er tat das geübt. Seine gewaltigen, vorgebeugten Schultern wurden zur Klammer, sein bärtiges Kinn drohte, Thyls Schlüsselbein zu zerbrechen, und seine Hände  nahmen Thyls Geschlecht ohne Scheu und Rücksichten in Besitz. Sie rieben das Glied und prüften das Gewicht der Hoden.

“Mann”,  stöhnte Thyl.  Er versuchte gar nicht erst,  sich mit körperlichen Anstrengungen zu befreien. “Mann, hast du mich erschreckt! Ich dachte schon, du willst mir an die Brieftasche... Und jetzt laß mich in Ruhe, und alles ist okay!”

“Wie alt”, knurrte der Mann, dicht an Thyls Ohr.

“Das ist kein Gebrauchtwagen, Mann! Und nicht käuflich, nicht für Kerle. Klar?”

Der Mann kicherte und machte weiter, als müsse er nicht die geringste Störung fürchten, und wahrscheinlich hatte er sogar recht.

Die geflieste Wand mit der Keramik-Schale war verschwunden, und Thyl starrte auf eine bemooste Wand aus grauen Findlingen. Von der Mauer hingen saftige, fast exotische Pflanzen  herunter, und wo vor Minuten noch der Ausgang zum Kaffeehaus gewesen war, standen tausendjährige Olivenbäume oder Zypressen. Thyl,  in den Händen eines antiken Unmenschen, dachte zähneknirschend, daß es auf jeden Fall etwas mit Pressen zu tun hatte.

“Warum wärest du sonst hier”, lachte der Mann, “und es gefällt dir ja!”

“Alt genug, um Liebe und Sex unterscheiden zu können, bin ich schon”, sagte Thyl. “Das ist eine rein mechanische Reaktion.”

Er hatte es eilig, denn nie reisten sie wirklich allein in die Vergangenheit, und wenn er nicht mehr auf einer Berliner Herren-Toilette herumstand, konnte ja jeden Augenblick Nele auftauchen.

“Wieviel also”, fragte Thyl. Auch über ein angebotenes halbes Königreich wollte er lachen.

“Du bist fremd hier.” Der Mann stieß Thyl leicht von sich, und er  wischte sich die Hände an Thyls Seidenjackett trocken. “Na, sonst wüßtest du, daß ich hinterher schenke...  Großzügig, wie es heißt, aber danach... Bezahlt habe ich dafür noch nie, Fremder!”

Thyl starrte auf den sich rasch entfernenden Rücken, der eine Art Toga füllte, wenn man hier nicht auch tags im Nachthemd herumlief. Wie in Filmen über das alte Rom waren die Sitten ja ganz offenbar, überlegte Thyl beim Hochziehen des Reißverschlusses, obwohl es ebenso gut altgriechische Sitten sein konnten.

Als Thyl die Oliven oder Zypressen hinter sich gelassen hatte, atmete er erst einmal auf. Es würde eine Stunde dauern, bis er in der Stadt war, die zwischen den grünen Hügeln und dem postkartenblauen Himmel weiß flimmerte, aber die Stadt stand immerhin keinem Vulkan bei. Außer mit der Tribüne des Sklavenmarkts, mit einem Gladiatoren-Gegner oder mit dem Ehrendienst im Knaben-Bordell konnte sie Thyl also mit nichts drohen.

Später tippte Thyl auf Athen. Ein griechischer Bekannter hatte ihm geraten,  Athen im Sommer nie und in den anderen Jahreszeiten besser auch nicht zu besuchen.  Auch ohne Auto-Abgase stank die Wiege der europäischen Kultur zum Himmel, denn zwischen den aus  der Nähe weniger weißen Häusern flossen die natürlich anfallenden Abwasser in flachen offenen Rinnen ins Trinkwasserschutzgebiet.

Am Phantastischsten war, daß Thyl die Schmähreden der Nachthemd-Schneider gegen seine barbarischen Hosen Wort für Wort verstand, und es fiel ihm nicht leicht, den von überall kommenden Einladungen zu Wein, Weib und philosophischen Gesprächen zu widerstehen.

Zuerst, so hatte sich Thyl mit Lamme und Nele vorbeugend besprochen, mußten sie einander finden und ausmachen, ob sie versuchen sollten, ein bißchen zu bleiben.

Gegen Abend verließ Thyl die Stadt wieder. Die papierne D-Mark galt seiner Besuchszeit noch nicht als hart,  und in der ganzen Stadt hatte er weder die Freunde noch ein Arbeitsamt oder einen Aushang mit Stellenange­boten gefunden. Ohne rechte Erinnerung, welche Strafe seine griechischen Vordenker dafür ausgesetzt hatten, würde er seinen Lebensunterhalt also mit langen Fingern verdienen müssen. Der Tag hatte Thyl ausgedörrt und  abgeschlafft, aber er wollte es nicht riskieren, zweitausend Jahre später im Hörsaal zu sitzen und von Professor Seidel als Beispiel eines verkrachten und diebischen Philosophen erwähnt zu werden. Darum wollte er sich in den Vorgärten versorgen.

Den Hohlweg, in dem er am Vormittag ergriffen  worden war, durchquerte Thyl fast im  Laufschritt. In der beginnen­den Dämmerung wäre er von Hand zu Hand gegangen, und nun nannten die besser betuchten Herren auch Summen und  andere  Vergünstigungen, kleine Geschäftsessen zumeist.

Thyl mußte sein Jackett ein paar Mal aus ziemlich greisen Händen rucken, und schließlich zog er es aus, um die Mauer um eine stattliche Apfel-Plantage zu überklettern.  Hinter den  Bäumen gab eine Thyl  bekannte  Stimme einen Thyl bekannten Bericht über die Reisen der unsterblichen Seelen. Es war ein Platon-Text, erinnerte sich Thyl und riß zwei Äpfel ab, aber er hatte die antiken Studenten wohl überschätzt. Nicht einmal sie folgten  ihren Dozenten mit der nun wahrlich gebotenen Aufmerksamkeit, und ihre Beauftragten für Zivilverteidigung waren plötzlich um Thyl. Sie schlugen ihm grob den angebissenen Apfel aus der  Hand,  und dann schleppten vier von ihnen Thyl und einer das Beweisstück vor den  Dozenten.

“Nenne uns deine These”, verlangte der Mann aus demHohlweg, und er grinste und beulte seine Backe mit der Zunge.

“Ich hatte einfach Hunger”, sagte Thyl.

“Das war keine These”, sagte der Dozent, und seine Zuhörer kicherten pflichtschuldigst. “Du bist, Fremder, in der Akademie des Platon, und zu ihr haben nur Philosophen oder Sklaven Zutritt. Nenne uns also deine These oder den Namen des zu gnädigen Herrn, dem du dich gestohlen hast!”

“Okay, dann stehlen wir eben beide”, sagte Thyl. “Die ganze Seelengeschichte ist ja ein ägyptisches Märchen, nicht?”

Thyl wußte, daß er nicht allzu hoch pokerte,  denn sie hatten ihn ja in der Entstehungszeit der Dialektik erwischt.  Wenn  sie schon erfunden war, konnte der dicke Dozent sie beide retten, und in den Augen der Studenten würde ihn das noch mehr adeln.

“Stimmt genau”, sagte der Dozent, “und stimmt eben nicht.”

Er konnte es sich erlauben, die Vorlesung ohne Rückfrage beim Rektor abzusetzen, und die Studenten beeilten sich sogar, die Wiese  hinter den Apfelbäumen zu räumen.  Kaum waren sie allein, faßte sich der Mann zwischen die Beine, und er schielte zu Thyl, während er sich durch den Stoff rieb. Es war ihm fast die Sache selbst, daß er das Gespräch unter neuen Bedingungen fortsetzen konnte,  und er beeilte sich dabei nicht einmal. Obwohl indessen der  letzte Sonnenrand hinter den Bumen verschwand, brachte der Mann sich und Thyl zum Schwitzen.

“Stimmt und stimmt nicht”, sagte er endlich, “und deshalb kann ich dich sowohl zu Drakons als auch zu Platons Gastmahl einladen, Fremder.”

“Ich wette,  erst versuchst du es mit einer Fete bei  Platon”, sagte Thyl, durchaus unfroh. “Und ich wette,  danach schenkst du mir das Leben...”

“Vielleicht! Nur vielleicht...”

Immerhin wurde Thyl nicht förmlich zum Sklaven erklärt, sondern Sklaven nötigten ihn aus dem Anzug, ölten ihn ein und kratzten ihm das Öl dann mit Elfenbein-Plättchen von der Haut. Sklaven brachten  ihm ein Bettlaken und legten und steckten es zu einem Nachthemd zusammen, und wieder andere Sklaven wiesen ihm im Speisesaal eine Liege zu.  Thyl rührte mit den Fingern in Gemüse- und Muschel-Salaten, trank in lustlosen kleinen Schlucken unverdünnten schweren Wein und glaubte dann für einen Moment, davongekommen zu sein. Ihm wurde eine Silberplatte gereicht, auf der echte deutsche Bockwürste lagen, doch gleich darauf erinnerte ihn eine schwer verständliche Begeisterung, wo er sich befand.

“Ein neuer Koch”, triumphierte Thyls Bräutigam und langte auf Thyls Liege, nach Thyls Fußgelenk, “und ein neuer Freund! Ich habe allen Grund, die Götter zu preisen!”

Thyl zog sein Bein an, und durcheinander und betrunken wie er war, kippte er von der Liege und in eine Ohnmacht.

“Leider ist der Kaffee noch nicht erfunden”, sagte Lamme später. Durch das unverglaste Fenster schien die Sonne schon recht kräftig in Thyls Zimmer. “Aber das ist ein starkes Stück, Alter, nicht? Wir beide in Platons Akademie!  Das wird uns in Geschichte der Philosophie zum absoluten Überflug bringen.”

“Dann  bist du der neue Koch”,  folgerte Thyl stöhnend. “Und mich hat einer als leichtes Mädchen unter Vertrag... Glaube kaum, daß wir damit groß angeben können. Und apropos leichtes Mädchen: hast du Nele...?”

Irgendwann kam Thyl darauf, daß es Platon persönlich war. Niemand sonst in der Akademie konnte über die Mittel verfügen, alte Papyrus-Rollen  zu verschenken und junge Knackärsche in sein Zimmer zu schicken.  Die Sklaven, die Thyl einkleideten, behängten ihn mit immer neuen Schmuckstücken, bis er klimpernd wie ein Marschall der Sowjetunion durch den großen Garten und die Hör- und Lesesäle schlich. Selbst näherte sich Platon ihm nicht mehr, und nicht einmal bei der allabendlichen Bockwurst berührte er Thyl. 

“Der Weise Aristokles schwärmt von der Gelehrsamkeit seines neuen Fremden”, wandte sich irgendein Stadtoberhaupt eines Abends an Thyl, “und er wäre bereit, die Gebhr für deine Einbürgerung zu zahlen...” Das Lächeln des Polit-Greises unterstellte und verzieh, was Platon nur träumte, und tatsächlich streichelte  der Lustgreis Thyls nackten Oberarm.

Am nächsten Morgen klopfte Thyl an Platons Arbeitszimmer-Tür an, und er gelobte bei allen Göttern der Griechen,  den großzügig genehmigten Markt-Ausflug mit dem neuen Koch nicht für die Flucht zu nutzen. Natürlich dürfte sich Platon Hoffnungen machen, erklärte Thyl, und ein Philosoph seines Volkes habe die  Hoffnung geradezu zur Triebfeder der Geschichte verklärt.

“Ich muß mit dir reden”, sagte Thyl,  kaum dßá sie außer Hörweite der Akademie waren. “So geht das doch nicht weiter!”

“Genau darüber wollte ich auch mit dir reden”, sagte Lamme und wischte sich mehr Schweiß von der Stirn, als ihm dort stand. “Du merkst wohl gar nicht wie er leidet? Und nicht irgendein Sklavenhalter, Mensch, sondern Platon!”

Thyl  kicherte. “Du willst mich tatsächlich mit einem alten Mann verkuppeln, ej?”

Lamme schwieg, bis sie den Markt erreichten. Dann mietete er einen der am Rand lungernden Jungen als Träger, und für das Geld des Ersten aller Schulphilosophen lud  er ihm  einen Packen Ton-Schüsseln, einen Gürtel kleine Amphoren und einen großen Korb für Gemüse auf.

“Das Geschirr nehmen wir mit in die Zukunft”,  verkündete Lamme. “Schon wenn wir es als Scherben verkaufen, wird es dort ein Vermögen wert sein. Und dumm ist, daß ich ohne Tomaten und Paprika kochen muß...”

“Mach dem Fetten ein schönes fettes Eisbein”,  riet Thyl. “Und während du das aussuchst, suche ich ein bißchen in den Cafés. Na, irgendwo muß Nele ja stecken.”

Thyl meinte die Bordelle, und Lamme wußte, daß er es meinte,  aber als Freunde vermieden sie  das Wort eben. Es war Thyl schwer vorstellbar, daß eine alleinstehende schwarze Zuwanderin in der hellgrauen und sonnengleißenden Stadt eine andere Arbeit  fand, aber er lungerte vergeblich in den Kontakthöfen herum.

“Vielleicht könntest du Platon den Wälzer vom Staat ausreden”, nahm Lamme auf dem Rückweg sein Thema noch einmal auf,  “wenn du ihm näher kämest. In reichlich zweitausend Jahren werde ich über den Scheiß eine Fünf schreiben, und außerdem würden dir alle modernen Demokraten dafür danken.”

“Du kriegst Geld dafür”,  knurrte Thyl ärgerlich,  und er zitterte leicht. Er würde selbst Geld brauchen, um einen Privatdetektiv anzuheuern, und eine andere Erwerbstätigkeit fiel ihm auch nicht ein.

“Ich brauche meine Tage, Meister”,  sagte Thyl an diesem Abend ehrerbietig zu Platon.

“Und ich will deine Nächte”, sagte Platon sachlich.

“Und ich brauche ein Taschengeld”, ergänzte Thyl.

“Wenn du ordentlich einstecken kannst”, präzisierte Platon. Er machte seinen schließlichen Triumph nicht öffentlich, aber es genügte der darauf lauernden Akademie-Obrigkeit,  daß er schon nach dem ersten Gang von der Abendbrotliege aufstand und Thyl ihm  mit schlurfenden Schritten folgte.

Im Prinzip war alles so, wie es Platon im Siebenten Buch des Staates beschrieben hatte oder erst noch beschreiben würde. Neben seinem Bett waren die Fesseln in die Wand eingelassen, die Thyl an Hals, Handgelenken und Schenkeln hielten. Allerdings brauchte Platon die Öllampe nicht, um Thyl die Schatten der Dinge zu zeigen, sondern um ihn mit der Hitze und der Angst vor Verbennung zu foltern. Dazu redete Platon von den verderblichen Einflüssen der Literatur, die die Unterwelt schmähe und vergessen mache, daß das Sterben nichts Furchtbares sei.

“Man muß schon die Kinder zu Zuschauern des Krieges machen”, sagte Platon und wühlte in einer geschnitzten, edelsteinbesetzten Kiste mit kleineren Folterwerkzeugen.

Platon wählte lederne, mit Silberplättchen und Dornen versehene Handschuhe und rückte an seinem Bett, bis er mit dem Kopf unter Thyls Geschlecht lag.  Dann masturbierte er seinen Gefangenen grob und schmerzhaft und molk ihn bis zum letzten Tropfen  über sein Gesicht aus.

“Glaubst du denn, daß die Regierenden in den Städten gern regieren”, fragte Platon schläfrig und erstickte die Flämmchen der Öllampe mit einer Metallkelle. “Nein, beim Zeus,  weil nämlich nicht ihnen aus  dem Herrschen ein Vorteil hervorgehn wird, sondern dem Beherrschten.”

Auch am nächsten Tag fand Thyl Nele nicht, und im ganzen antiken Athen gab es nicht einen Privatdetektiv. Ein Kneipenwirt, den er um Rat fragte, empfahl ihm einen makedonischen Wahrsager, aber dafür war Thyl sein sauer verdientes Geld doch zu schade. Er erkundigte sich nach einer nicht zu teuren, aber niveauvollen Hetäre, und er erzählte ihr ein bißchen aus dem zwanzigsten Jahrhundert, während eine ihrer Sklavinnen nackt Kithara spielte und zwei andere Thyls wundes Geschlecht leckten.  Für den guten Nachmittagslohn und seine Märchen versprach die Edelhure Thyl, sich nach einer pechschwarzen Kollegin umzusehen und umzuhören, und danach schlenderte Thyl lustlos seinem Huren-Job entgegen.  Daß die Akademie die beste Wohngegend war, tröstete ihn nur wenig, und als  Lamme das Abendessen servierte,  grinste er Thyl obendrein anzüglich ins Gesicht.

“Denke dir Menschen in einer unterirdischen höhlenartigen Wohnung”, begann Platon diese Nacht. “Von Kindheit an gefesselt wie du, gestern nacht.”

“Man hat keine Wohnung, wo man gefesselt ist”, sagte Thyl mürrisch, setzte sich aber gehorsam auf die angewiesene Bettkante.

“Unfähig ihren Kopf herumzudrehen”, sagte Platon, raffte sein Nachthemd vom halbsteifen Glied und krallte die Finger in Thyls Nacken. “Von oben und ferne her aber leuchtet ihnen Feuer, und zwischen dem Feuer und den Gefesselten läuft oben ein Weg  hin, längs dessen eine niedrige Mauer errichtet  ist, ähnlich der Schranke, die die Gauklerkünstler vor den Zuschauern errichten, um über sie weg ihre Kunststücke zu zeigen.”  Platon gewann einen kleinen Kampf gegen Thyls Halsstarre. Er zwang ihn,  sich über sein  Geschlecht zu beugen,  und nachdem er das inzwischen pralle Glied schon vor Augen und an den Lippen hatte, öffnete Thyl ihm auch noch den Mund.  “Längs dieser Mauer tragen Menschen allerlei Gerätschaften vorbei, die über die Mauer hinausragen”, tönte Platon verzückt weiter, “wobei, wie begreiflich, die Vorübertragenden teils reden, teils schweigen. Können nun ernstlich solche Gefesselten von sich selbst sowohl wie gegenseitig voneinander etwas anderes kennen als die Schatten, die durch die  Wirkung des Feuers  auf die ihnen gegenüberliegende Wand der  Höhle geworfen werden? Und ferner:  Gilt von den vorübergetragenen Gegenständen nicht dasselbe?” Für eine zustimmende Antwort hob Platon Thyls Kopf an den Haaren.

“Na, ja”, sagte Thyl, hustete, sammelte Speichel und spuckte auf den Marmorboden. “Von allem kennen sie nur die Schatten,  außer von den Bohnen.”

“Beim Zeus”, rief Platon unwillig. “Was für Bohnen denn?”

“Na, mit irgendetwas mußt du deine Gefangenen doch von Kindheit an füttern!”

Platon stieß Thyl die große Faust ins Gesicht. “Das ist große Philosophie, kleine Hure!”

“Und wie alle großen Ideen scheitert sie  an der Freßsucht der Menschen”, sagte Thyl und wagte, zu grinsen. Er zweifelte am Erfolg, weil Platons Schlächterphilosophie zu sehr sein Schlächter-Leben war, aber immerhin stand einen Augenblick lang auf der Kippe, ob der philosophische Idealismus abgetrieben oder ausgetragen werden würde.

“Womit ich dich füttern werde, weiß ich immerhin”, schrie Platon. “Auf den Rücken, Lästerer der göttlichen Weisheit!”

Platon setzte sich auf Thyls Brust, preßte Thyls Kopf zwischen die Knie und begann, Thyl wie die Little Oral Annie der zukünftigen Nebenhaus-Videothek zu gebrauchen. Nachdem Platon einen heiligen Grund für seine Gewaltphantasien gefunden hatte, schwoll sein Glied weiter an,  und er ritt den widerspenstigen und barbarischen Studenten ohne Pause bis zu einem dritten Erguß. Es dämmerte schon, als Platon Thyl mit einem Fußtritt aus dem  Zimmer jagte und ihm den nächtlichen Hurenlohn hinterher warf.

Thyl verschlief das gemeinsame Frühstück der Akademiker, und er erwachte mit Mordgelüsten, weil Lamme ihm in das Gesicht lachte und einen Beutel Silberlinge über dem Gesicht kreisen ließ.

“Der Alte ist begeistert von dir”, sagte Lamme. “Du bist, was er  zur Vollendung des Staates brauchte,  hat er gesagt, und er will für deine Einbürgerung bezahlen und bürgen.”

“Wir wollten das Buch aber verhindern”,  erinnerte Thyl. Er stand auf, goß den Frühstückswein in eine Silberschale und wusch sich damit das Gesicht.

“Es hat sich aber ein ganz neuer Aspekt ergeben”, sagte Lamme. “Gerade hat er seinen letzten Geliebten exmatrikuliert, und weißt du, wer das war?” Thyl zuckte die Schultern. “Aristoteles, Sohn des Nikomachos!  Mensch, du hast die besten Chancen, der Lehrer von Alexander dem Großen zu werden!”

“Ich  werde jetzt auf den Markt gehen”,  sagte Thyl  sachlich, und das kostete ihn Anstrengung. “Und ich werde von dort  nicht mehr hierher zurückkommen. Hast du verstanden?”

“Du meinst, wenn ich nicht mitkomme, werde ich ewig der Leibkoch von Platon bleiben?”

“Und vielleicht der Nachfolger von Aristoteles werden, genau.”

“Wir müssen uns wirklich um Nele kümmern”, sagte Lamme, um nicht selbstkritisch werden zu müssen. “Und wir haben auch beide genug verdient, denke ich. An dir, ja, schon gut!”

Thyl  und Lamme nahmen sich Zimmer in der billigsten der mittleren Kneipen, und sie brachten eine gute Woche damit zu, tagsüber in den Bordellen und Aufsteigen Wein mit Wasser zu trinken. An den Abenden saßen sie in den Ringer-Kaschemmen herum, die als einzige große Fleischportionen führten und deren Wirte ihnen, ohne zu fragen, Weinlaub rösteten und in trockene Apfelblätter wickelten.

“Ob sich etwas an der Weltgeschichte ändert, wenn ich eine Kneipe aufmache”, träumte Lamme, vom ersten Rauch nach Wochen selig. “Und aus den Gewinnen finanziere ich die Entdeckung Amerikas schon in vier, fünf Jahren?”

“Die Schiffe würden es schon mitmachen”,  wollte Thyl in das Gedankenspiel  einsteigen, als in der Kneipentür plötzlich Nele auftauchte. Auch sie ging in einem Nachthemd aus grobem Stoff.

“Du mußt was essen, du Esel”, schrie sie einen riesenhaften, Mann an, der völlig unter ihrem Pantoffel schien. Vielleicht hatte dieser gemeinsame Auftritt später die Anekdötchen über Xanthippe und Sokrates getrieben.  “Glaub mir, Väterchen Frust, daß sie sich mehr über deine Sprüche als über deinen Hungerstreik ärgern  werden, diese Sklavenschinder!”

“Ich bin kein Esel, ich bin Der Hund”, widersprach der Mann.

“Sogar die Hunde haben Lust beim Sex”,  widersprach ihm  Nele, “und  wie!” Sie rannte auf Thyl zu, umarmte ihn und stieß Lamme zur Begrüßung mit dem Kopf an.  “Gott, wo wart ihr denn? Ich habe fest  damit gerechnet, daß ihr bei uns Kynikern auftaucht! Ich denke ihr seid Philosophen!”

“Erlaube mal”, wollte Lamme protestieren.  “Wir waren schließlich...”

 Thyl trat ihm energisch gegen das Schienbein.

“Diogenes aus Sinope”, fragte Thyl und streckte Neles Begleiter die Hand entgegen. “Sie hat übrigens Recht, Nele. Im Sexuellen sowieso. Und in der Zukunft wird es Hunde  geben, du Hund, die besseres Fleisch fressen als der Großteil der Menschheit. Man wird Hunde auf Handflächen format  herunterzüchten, und manche Rassen wird man nur noch künstlich befruchten können.”

Diogenes setzte sich und sah echt erschüttert aus.  Er  griff nach Thyls Becher und trank einen großen Schluck Wein. “Und Platons Staat”, fragte er. “Wird es ihn geben?”

“Nie für lange”, sagte Thyl und stand auf .”Ich muß mal Gassi, und danach können wir ja...”

Thyl trat nur einen Schritt neben die Kneipentür, und während er noch Wasser ließ, rauschte es plötzlich sehr modern durch die athenische Nacht. Einen Augenblick später stand er wieder vor der gekachelten Toilettenwand des Berliner Kaffeehauses, konnte einen Hosen-Reißverschluß hochziehen und wieder  in das Jahr 199* zurückgehen.

“Klar waren wir schon mal in Griechenland”, erklärte Nele eben dem griechischen Fernseh-Macher. “Thyl und Lamme haben nur in der Akademie rumgehangen, aber richtig lernst du Athen eben nur kennen, wenn du mit den Kynikern losziehst!”  Sie zog an einem Goldkettchen einen Keramik-Scherben aus dem Ausschnitt des T-Shirts. “Echt antik, und das Loch hat Diogenes aus Sinope reingebohrt. Es bedeutete ihm praktisch die Verlobung mit mir. Aber was ich einen Griechen schon lange mal fragen wollte: meint ihr immer noch, daß man beim Sex keine Lust empfinden darf?” 

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