Nach jeder Kaninchenbox hätte Tania das Wischwasser über dem Schreibtisch des Oberstleutnants auskippen müssen: keiner der Kerle, ihrer Genossen, hatte zwischen Freitag und Freitag auch nur einmal gefegt, und mit dieser Dienstvorschrift nahmen es selbst der Oberstleutnant und der General weniger genau als mit den übrigen.

Natürlich goß Tania das Wasser jedesmal in das jeweilige Toilettenbecken, schlich auf einen Schluck Kaffee und einen einfachen Wodka in die Küche und ging dann die nächste Staub- und Aschewüste an. Daß die Nixe Trixi, die Putze der anderen Schicht, zwischen den Stunden ihrer Körper- genauso zur Raumpflege mußte, versüßte Tania diese Arbeit sogar. Sie war sicher, daß ihre Kerle freitags die saubereren Unterkünfte hatten, und daß ihre Kerle die Schmuddelväter wohl trotzdem um die nachlässigere schickere Aufwartung beneideten, kränkte Tania nicht. Sie hätte täglich alle Kaninchenboxen gewischt, wenn die Rammler sie dafür ganz übersehen hätten, Hintenlinks natürlich ausgenommen.

Er war der Glücksfall der Schichteinteilung. Daß das Bonbon-Monster, das sich Gräfin nannte, zur anderen Schicht gehörte, war der Gnadenerweis, aber der Hintenlinks Jürgen war der Glücksfall, ein Mann in Tanias Alter und irgendwo mit ihrer Kragenweite. Sein Zimmer nahm sich Tania als letztes vor. Ihm hätte sie sogar wie das bravste Hotelmädchen, wie die nachsichtigste Ehefrau das Bett gemacht, das er wie alle Genossen militärisch exakt und straff hinterließ, und so rechnete sie während der Scheuer-Fron die Unterschiede zwischen seiner und den anderen Kaninchenboxen auf. Nicht Computer- und Technikbücher, sondern Krimis standen auf seinem Schreibbrett, eine Art Literatur also. Während des Duschens starrte er nicht auf überlackierte Akt-Poster, sondern auf Land- und Stadt-Landschaften mit Touristen und Passanten. Nicht in den Dienstzeiten im Fitness-Raum, sondern nur in den vier mal sechs Federn des privaten Expanders konnte sich Hintenlinks wirklich verausgaben. In jeweils fünf Serien zu zehn Stößen wurde er rechts und links zu Shatterhand und Bleifuß, während Tania weder mit geduldiger Anstrengung noch mit ruckartigen Versuchen je Arm oder Bein zur Strecke gebracht hatte.

Die dicke Holzplatte für gezielte Messerwürfe gefiel Tania weniger, aber der Geruch des Bildes von Mann hielt sich trotz des künstlichen Zitronendufts aus der Klima-Anlage und verliebt hatte sie sich in seine Chandler-Schwärmerei und die Live-Krimis, mit denen seine wenigen, traurigen und kurzen Liebesgeschichten begonnen hatten.

”Theater und Kinos kenne ich jede Menge, jede Ecke und jedes Klo”, sagte Hintenlinks auf Tanias Bemühun­gen, über Bulgakow oder Neutsch, García Marquez oder Strahl zu reden. ”Nur bis zur Bühne und zur Leinwand ging mein dienstlicher Blickwinkel nie... Das war die Hälfte des Jobs. Die andere war das Training von Sachen und Tricks, die man nie brauchte.” Hintenlinks blies dem Fernseh-Kommissar eine Wolke Zigarettenqualm ins rosige Gesicht. ”Sogar Fernsehen und Rauchen habe ich mir erst hier angewöhnt: die Augen und die Puste, wenn du verstehst.”

Tania verstand ihn, obwohl sie ihm so ganz nicht glaubte. Bei einer eingetrübten Optik konnte auch sie die frühere Arbeit als Höllenstrafe ansehen: Papierschlachten, Katastrophen-Management und der Verkauf von Hilfsschülern als Einsteins. Das Wegstecken von Schlägen von oben, von unten und von der Seite.

”Aber rumgekommen mußt du doch sein”, wandte sie vorsichtig ein, ”Mordsleute hast du doch kennengelernt‘?”

”Klar, das linke Blatt von unserm Hochwild, die linken Schultern von Breshnew und Strauß kenne ich”, sagte Hintenlinks düster. ”Aber dann habe ich mir beim Dienst-Fußball die Hand gebrochen, und danach galt ich selber als Sicherheitsrisiko.”

Dieser interne schlechte Ruf war ungerechtfertigt gewesen, obwohl er nicht aus der Luft gegriffen war. Schon lange vor der Unfall, nur ein Jahr nach der Scheidung hatte er die Kneipenzüge, Nachtbus-Fahrten und Spaziergänge durch die Schluchten des Prenzlauer Bergs begonnen, um gegen Mitternacht als Lederjacken-Engel in Handgreiflichkeiten, Belästigungen und Vergewaltigungen zu fahren. Einmal machte es ihm sportlichen Spaß, kleinere und mittlere Säuferbanden so nüchtern zu klopfen und zu wirbeln, daß ihnen ihre Flucht ein halber Sieg schien. Zum anderen kam er bei den davongekommenen Opfern selber zum Schuß, wann immer er wollte. Er stellte sich als ehemaliger Fallschirmjäger oder als reuiger Gangster vor, er ging als Rächer seiner geschändeten Schwester das letzte Stück Weges mit, und sogar und besonders bei biederen Ehefrauen machte er damit allen nötigen Eindruck. In den Hauseingängen, ein, zwei Etagen unter den Fernsehsesseln ihrer schwer vergleichlichen Ehekrüppel, besorgten es gerade die Ehefrauen ihrem blonden edelen Ritter wie die gelerntesten Hürchen Thailands. Ein geregeltes oder nur regelmäßiges Sexualleben hatte er also nicht, und nie war eine Frau unterwegs und in Schwierigkeiten gewesen, der er seinen eigentlichen Beruf hätte offenbaren dürfen: Hintenlinks im Betrieb der Staatsbesuche oder bei Betriebsbesuchen des Staates. Das dritte Vergnügen aus dieser Freizeitbeschäftigung war ihm dann noch, daß ihm die Dienststelle nicht dahinter kam, dreieinhalb Jahre lang.

”Ja, und die Frauen kenne ich”, sagte Hintenlinks noch düsterer. ”Daß ich aufgeflogen bin, keine Ahnung wie, war echt gut. Am Ende hätte ich bei der nächsten, übernächsten Vergewaltigung nicht auf-, sondern mitgemischt, wenn du verstehst.”

Diesmal verstand Tania ihn, wollte es aber nicht. Er saß wie ein enttäuschtes, zu schnell groß gewordenes Kind auf dem schmalen Bett, die Brauen gerunzelt und die Mundwinkel nach unten gezogen, und er wagte kaum, die Frau auf seinem Schreibtischstuhl anzusehen und zu taxieren. Auch ihr mußte er nach all seinen Erfahrungen unterstellen, daß es ihr nur um einen kurzen Flirt mit einem schnellen folgenlosen Erfolg ging, daß sie nur ungedrängt wählen wollte, wer sie ohne Romantik, körperlich erschöpfend und in welcher Reihenfolge bekam. Daß gerade sie Sinn für die feineren Signale seiner Seele hatte, würde er Tania nicht mehr zutrauen, und tatsächlich wußte Tania nur aus Büchern, daß es solche Signale einer Geheimabsprache gab. Sie war sicher, sie in der Wirklichkeit zu überhören und zu übersehen, aber sie litt darunter. ”Da kennst du uns Frauen nur oberflächlich”, sagte sie, streckte den Arm aus, bis er ihr die Hand gab, und lächelte dann, ”auch nur ihre linken Schultern, die kalten.”

Das Letzte; Pharao;
Am Anfang; Vögelchen;
Nackt; Indianer;
Stalin; Kapitalisten;
Pinguinhahn; Chefarzt;
Hartmutchen; Persien;
Commune; Geil;
Knutschen; Kapital;
Kamel; Frühling;
Iljitsch; Weiß;
Philo; Sie Idiot;
Magenkrebs; Nele;
Königin; Grieche;
Elefant; Robin Hood;
Woman; Mordsleute;
Bulgarien; Marx;
Döbeln; Witwen;
Leopard; Senf;
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Hunde; Lamme;
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Tauben; "Arche";
Huacsar; Ratte;
Sihetekela; Lesbe;
Steaks; Giordano;
Linke; Das Recht;
Miststück; Sartre;
Genosse; Libre;
Nebuk...; Chesus;
Lennon; Dr. Schwarz;
Towarisch; Afrika;