Uhlmann starrte abwechselnd auf das unscharfe Beweisfoto und das teuer verpackte Original.

Ihre Inszenierung wäre gescheitert oder wäre doch weniger sensationell gewesen, wenn die Chefagentin damals nicht selbst nackt auf die Kleinstadt-Bühne gegangen wäre. Uhlmann glaubte ihr das, und den Text, zu dem das Foto gehörte, wollte er auch gern lesen. Sie kamen zu ihm,  seine Befreiten. Sie gingen auf den Knien wie in der Kirche. Und weißt du was sie wollten. Zurück in die Geborgenheit der Sklaverei. ... aus dem kalten Frühling ihrer Freiheit unter die geliebte Peitsche. Der Text regte Uhlmann anders, aber nicht weniger auf als das Schwarzweiß-Foto, und er hielt sich beides  vor  die  Augen, um nicht auf den Couchtisch sehen  zu müssen. Der Mann seiner Chefin hatte Uhlmann Margits buntes Bewerbungsmaterial dorthin gelegt, und darauf standen ein zu volles Glas und eine noch halbvolle Flasche Johnnie Walker.

Die damals sündhaftesten Bilder und den sündhaft teuren Schnaps aber hatte auch Vetter Hartmut vor sich gehabt,  als Uhlmann ihn zuletzt besucht hatte.

Uhlmann stand hinter den Gardinen, durch das offene Fenster in die Wohngebiets-Komplexgaststätte eingedrungen, und durch die Webmuster konnte er grinsend hinter die Kulissen der Wonderland-Discothek sehen.

“Seid geil, Babies”, feuerte Vetter Hartmut seine Modenschau an. “Und seid es besonders für die beiden Tische an der Tür! Da sitzen die Bonzen vom Magistrat,  die euch für die Jubelscheiße abonieren sollen... Seid geil, sage ich euch, obwohl ich es gar nicht sagen müßte! Ihr seid ja gut, saugut, geil, saugeil! Ihr seid schließlich keine Kleinstadtpflanzen mehr, sondern die Alices aus meinem Wonderland, klar?””

Die vier Mädchen knöpften ihre schwarzen Seiden-Nachthemden weiter auf und sammelten sich an der Tür, durch deren Ritzen ein öliger Schmusehit quoll. Vetter Hartmut aber beugte sich über die Fotos und sortierte sie in rot gebundene Auszeichnungs-Mappen, und die einzelne Frauenstimme erschreckte alle. Sogar Uhlmann blieb einen Augenblick länger in seinem Versteck.

“Du kotzt mich an, du verhinderter Zuhälter!”

“Euer Einsatz, Babies” rief Vetter Hartmut. “Drei, zwei, und los!” Er trank einen Schluck Whisky, bevor er in Richtung des Umkleide-Schirms bellte. “Vonwegen verhinderter Zuhälter! Na, komm her!” Es war die irokesische Prinzessin der Discothek, die ihre schwarze Lippe riskiert hatte, und kaum war sie Vetter Hartmut nahe genug, griff er in ihr Kettenkostüm. “Solange du bei mir die Brötchen verdienst, hast du dich auch ankotzen zu lassen, stumm! Klar?”

“Nie wolltest du dich von deiner Kapitalisten-Kuh scheiden lassen”, schimpfte die Punkerin. Sie zappelte, um mit ihrem Metall-Behang  wenigstens die Brustwarzen zuzuhalten, und erst als sie verlor, bettelte ihre Stimme. “Nie hast du das wirklich vorgehabt, du verlogenes Aas!”

“Doch, hundert Mal hat er das vorgehabt”, griff Uhlmann effektvoll ein. “Aber natürlich nie wegen dir, Kleine...”  Beide starrten Uhlmann wie ein Gespenst an, und selbst Vetter Hartmut, sein eigenes Mörderchen, erinnerte sich nicht sofort. “Thomas Magnum”, stellte sich Uhlmann vor. “Privatdetektiv. Ihr könntet mich aus der ARD kennen.”

Vetter Hartmut gab seine leibeigene Irokesin frei und griff nun gleich nach der Flasche.

“Du...,  du bist tot! Ich habe dich doch selber als eine Art Schabefleisch gesehen und ordnungsgemäß identifi- ziert.”

“Das war ein Filmtrick.” Uhlmann zündete sich eine Zigarette an und nahm Vetter Hartmut die Flasche für einen Schluck weg. “Ist aber gut, daß du an Gespenster glaubst. Da muß ich dich nicht erst erpressen, Margit von Opas Märkern zu schicken. Zweihundert im Monat oder der böse Geist von Magnum schickt Tante Adelheid und Base Beatrice zwei Eintrittskarten für das Wunderland...”

“Das nimmt sie gar nicht an”, behauptete Vetter Hartmut. “Doch nicht von mir! Sie unterstellt mir dann bloß wieder, daß ich an ihre Ohren will!”

“Sie glaubt doch, daß die Menschen sich bessern können, und sie wird nicht mal dich für eine Ausnahme halten, Mörderchen.”

Trotzdem hätte Uhlmann für seine Überzeugung  gemordet, daß Margit lieber gestorben wäre, als sich für ein bequemes Leben zu verkaufen. Er meinte das nicht einmal metaphorisch.

Margit war langsam an den Kompromissen eingegangen, die beide in ihren Berufen  an der Humboldt-Universität gemacht hatten. Das Hinterhof-Zimmer tröstete sie nicht, und die Feierabend-Diskussionen mit den befreundeten Kollegen machten alles nur noch schlimmer. Ost wie West füllten ihre absterbenden Wälder mit Mittelstreckenraketen einer neuen Generation auf. Im Westen schmuggelten sich die Kriegsminister in Krankenwagen durch Demonstran­ten­ketten, und Margit hatte Kohlen zu schleppen, die Literaturwissenschaft der einzig wahren Weltanschauung zu predigen und gefälligst zu verkneifen, was längst mehr als Zweifel waren. Damals hätte das auch Uhlmann passieren können, aber es war eben Margit passiert.

In einer Parteiversammlung mit Studenten schrie Margit leise und  zitternd ihre Angst vor jeder Art Raketen heraus, und noch wurde sie nur für fieberkrank erklärt und nach Hause  geschickt. Sie blieb in einem Café hängen und erinnerte sich eines Café-Geredes mit einer schon gefallenen Kollegin. Margit schlug im Kalender die damals notierte Adresse auf, bestellte einen doppelten Wodka und kam gerade noch rechtzeitig bei der pazifistischen Verschwörung an, um mitgefangen zu werden. Im Grunde war es komisch gewesen, wie die zuständigen Organe in den einschlägigen Berichten nach Margits Namen suchten und zwischen den Listen, dem Protokoll und Margits Partei-Dokument hin und her sahen. Schließlich befanden sie alles für echt und begründeten damit ihren Vorschlag, Margit solle ruhig weiter in dieser Richtung aktiv werden, nunmehr allerdings in Rücksprache mit ihnen. Margit biß an ihren Daumennägeln und fand sich verrückt, aber sie brachte es doch fertig, nicht zu nicken und bei ihrer dritten Versuchung zu lachen. Mehr mit Erzhäl- als mit Heullust kam Margit am nächsten Nachmittag nach Hause zurück, und in der kalten Wohnung lag ein kalter Brief für sie: ein zweites Mal sollte es nie geben, nicht?                                                            

Beim ersten Mal war Margit nicht damit zurecht gekommen, neben einem Schönling aufzuwachen, unter den sie sich nüchtern nie und nimmer freiwillig gelegt hätte. Für viele andere wäre es nun doch passiert gewesen und hätte vergessen werden können. Margit aber war steif geworden, hatte die Schnarchrhytmen des Zimmers gezählt und ihre Brüste geschoben, bis sie die Kratzer und Knutschflecke gesehen hatte. Sie war also tiefblau gewesen, hatte Margit überlegt, und den Alkohol hatten ihr die beiden eingeflößt, die ihr das Super-Sandwich versprochen hatten. Ob sie nun nicht auch noch das Sandwich probieren wollten, hatte es  aus dem Licht gefragt, das über Rolfs Schulter aufgeflammt war, und auf Rolf war Margit beim Tanzen scharf geworden. Sie war noch nie zu  Feten ihrer Seminargruppe geblieben,  hatte sich Margit der Verabschiedung erinnert, und wegen der FDJ-Versammlung zum Studienjahres­beginn werde Till nicht einmal das Abendbrot verschieben müssen.                       

Als Margit eine knappe Woche später vor der Übermüdung, dem  geleerten Portemonnaie und dem  Geruch ihres Folklore-Kleides kapituliert hatte, hatte sie sich wenigstens Prügel erhofft. Anders konnte sie nicht zurück in die Kneipenwelt,  in der sie jeden Abend wie nach dem Hausschlüssel nach einem passenden Schwanz gesucht hatte, und bleiben konnte sie schließlich schon gar nicht mehr. Irgendwann würde ihr in ihrem neuen Leben ohnehin blühen, zusammengeschlagen und aufgerissen zu werden, und sie wollte einfach, daß Till damit anfing. Till aber hatte sich nur auf dem Schreibtischstuhl umgedreht, hatte Margit in den Hüften umarmt und das Gesicht zwischen ihre Brüste gedrückt. Weil sie ihm nicht glaubte, war Margit in derselben Nacht  auf  das  Fensterbrett gestiegen, und Till hatte sie am Zopf zurückgeholt. Als sie später ein Heimfahrt-Wochenende für ihren Schlaftabletten-Cocktail genutzt hatte, war Till von irgendeinem Instinkt zur Umkehr verleitet worden, und Margit hatte von sich aus versprochen, daß es kein zweites Mal geben würde.

Daß Margit in einer einzigen fruchtlosen Aktion zum Weltfrieden neben der Arbeitsstelle auch noch ihren Mann verloren haben sollte, brachte sie um. Sie hätte sich noch immer an die Organe verkaufen können, die sie vor ihr schützen sollten, aber Margit vergiftete sich lieber mit dem Rum-Vorrat für die Wintergrogs. Dann schaltete sie die ZDF-Hitparade ab und rechnete nach: der Mieter im Parterre machte seit einem  halben Jahr in schwedischen Gardinen, der vom zweiten Stock wohnte längst bei Frau und Kind und die  dritte und vierte Etage würden wohl auch den schlimmsten Knall glimpflich berstehen. Margit  kniete sich vor den Küchenherd wie vor einen Altar und drehte alle fünf Hähne auf.

Uhlmann kippte den Whisky, der trotz der Eiswürfel warm geworden war, und goß sich gleich noch einmal nach. Die Chefagentin atmete auf, und der Mann seiner Chefin hatte nur darauf gewartet, um selbst beginnen zu können.

“Dann ist es ja ‘n Trost für dich, daß sie so schwer zu verkuppeln ist.”

“Udo”, knurrte die Chefagentin. Sie nahm Udos Zigarettenschachtel und hielt sie Uhlmann hin, bediente auch das Feuerzeug. “Was auch zwischen euch ist oder war: vielleicht gehst du und redest ihr zu?”  Uhlmann nickte.  “Ja, und was das Video angeht... Natürlich hast du den Drehtag gehabt,  aber... Wenn der Film jetzt nicht wird,  ist das auch nicht unsere Schuld, andererseits.”

Uhlmann verschluckte sich am Zigarettenrauch,  hustete und kicherte durcheinander und leerte das Glas.

“Okay, kauft ihr euch was für das Geld! Aber gleich,  wenn das geht?”

Uhlmann war im Kinderzimmer, bevor die beiden geantwortet hatten, und er setzte sich auf die Bettkante. Margit heulte schon leiser, und sie hatte  sich die reichlich herumliegenden Plüschtiere gerafft. Ihr Tanzschweiß war kalt geworden und störte sogar Uhlmann, der schwitzende Frauen eigentlich mochte. Trotzdem faßte er die noch immer nackte Stripperin am Oberarm an, und auch in ihren Reflexen war sie noch Margit. Sie krümmte sich, damit er an ihre Brustwarze kam,  von der sie früher geglaubt hatte, daß nur er so ein Monstrum wirklich lieben würde. Wie von selbst wuchs die Zitze zwischen Uhlmanns Rauch-Finger, und die rechte Hand wickelte Uhlmann in die Haare für den rechten dunkelblonden  Indianerzopf.

“Mußt du dich verstecken”, fragte Margit. “Sie haben dir eine neue Identität gegeben damals, und du hast spioniert, ja?”

“Du hast mich einfach zu oft mit Jesus verglichen. Na, und da habe ich die Sache mit der Auferstehung eben mal ausprobiert.”

“Zu spät.”

Margit rutschte so, daß auch noch Uhlmann auf das zerwühlte Kinderbett paßte, und wie vor ihrer unglücklichen Liebe zum Tod richtete sie alles nötige ein. Sie schüttelte ein Kissen auf, bog sich ihren Mann zurecht und kroch dann unter seine Achsel, holte sich seine Hand auf die rechte Brust.

“Das Land ist untergegangen inzwischen...”

“...und meine Frau geht auf den Strich”, sagte Uhlmann. “Nein, ist schon in Ordnung! Immerhin verhungert Michael nicht, und das ist mehr, als ich ihm versprechen könnte.”                                                                      

“Schön”, sagte Margit und drehte sich zu Uhlmann, “schön, daß du mich nicht schonen willst! Ich vertrage jetzt auch viel, viel mehr als in der Zeit mit dir.”               

“Klar! Wichserblicke, die Sprüche von Kohl und die fetten Finger von Vetter Hartmut...”

Das Letzte; Pharao;
Am Anfang; Vögelchen;
Nackt; Indianer;
Stalin; Kapitalisten;
Pinguinhahn; Chefarzt;
Hartmutchen; Persien;
Commune; Geil;
Knutschen; Kapital;
Kamel; Frühling;
Iljitsch; Weiß;
Philo; Sie Idiot;
Magenkrebs; Nele;
Königin; Grieche;
Elefant; Robin Hood;
Woman; Mordsleute;
Bulgarien; Marx;
Döbeln; Witwen;
Leopard; Senf;
Jesus; Thyl;
Hunde; Lamme;
Autsch; Platon;
Flußpferd; Saudis;
Tauben; "Arche";
Huacsar; Ratte;
Sihetekela; Lesbe;
Steaks; Giordano;
Linke; Das Recht;
Miststück; Sartre;
Genosse; Libre;
Nebuk...; Chesus;
Lennon; Dr. Schwarz;
Towarisch; Afrika;